15.12.2017
Warten auf die Disruption oder offensiv handeln
„Hallo SPD, habt ihr den Kohleausstieg vergessen?“ Das ist einer der Eindrücke, den man beim Lesen des Leitantrages, der vergangene Woche vom SPD-Parteitag verabschiedet wurde, erhält. Es wäre eigentlich nicht der Rede wert, denn neu ist diese Feststellung nicht. Sie ist unterlegt durch die Politik der Schwarz-Roten Bundesregierung während der vergangenen vier Jahre, sowie die der SPD- geführten Landesregierungen in Brandenburg und NRW. Die Liebe zur Kohle, besonders zur Braunkohle, scheint bei den Sozialdemokraten quasi zur DNA ihre Parteiexistenz zu gehören. Da ist es auch nur ein Treppenwitz am Rande, dass die abgewählte Ex-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft inzwischen beim Ruhrkohle-Konzern (RAG) untergekommen ist. Die Strombarone haben ihre Polithandlanger schon immer fürs Eindringen in die Volksseele belohnt. Bedenklich ist die Affinität zur Kohle oder deren Weiterführung bei Öl und Erdgas in Form des Superlobbyisten Gerhard Schröder deswegen, weil die von Merkel betriebene Reanimation der Verbrennungstechnik für weitere vier Jahre ins Haus steht.
Mit den aktuell beginnenden Sondierungen zwischen CDU/CSU und SPD zu einer neuerlichen Groko versucht die einst mächtige Klimakanzlerin Merkel nicht nur ihren eigenen politischen Untergang mit Hilfe der SPD hinauszuzögern. Auch wenn, anders als bei den Jamaika-Sondierungen, niemand mehr von Klimapolitik und Kohleausstieg redet, ist es doch offensichtlich, dass nicht nur sie, sondern die Kräfte der fossilen Deutschland AG, also Kohle, Stahl, Automobil, Strom und Chemie an dieser Konstellation festhalten als einem Instrument des weiter so festhalten wollen. Das hat ganz augenscheinlich seinen Grund darin, dass momentan vor allem die Industrie in ihrer Gesamtheit keine andere Lösung sieht und nicht in der Lage ist die alten Seilschaften zu überwinden. Eine Strategie oder ein Konzept für eine Zukunft ist das nicht. Auch wenn vordergründig die deutsche Wirtschaftslokomotive noch brummt, zeigen sich am Horizont Anzeichen, dass dieser Boom endlich ist.
Die Zentren der Zukunftsindustrien sind nach Asien gewandert, und die Supermacht USA ist erkennbar im Niedergang. Wirtschaftlich wie politisch. Das ist wie weiland im alten Rom, Aufstieg und Fall des römischen Reiches, was wir aktuell erleben. Für die Machtkonstellation, welche die EU bestimmt, gilt im Prinzip gleiches. Es sind die wirtschaftlichen Triebkräfte, allen voran die Energiefrage, die diese Veränderungen bewirken. Das fossile Industriezeitalter geht seinem Ende entgegen und mit ihm die sie tragenden Eliten. Wobei es schon schwer fällt, angesichts der Herren Trump oder Putin von Eliten zu sprechen. Naja, politische Klasse reicht auch, passt es doch besser zu solchen „Führungs“figuren wie Merkel, Seehofer, Schulz und Scholz, Lindner, Laschet, Söder oder eben Kraft. Ihnen allen gemein ist ihre unlösbare Verflechtung mit den fossilen Brennstoffen und deren Industrien.
Sie teilen ganz offensichtlich auch das Unvermögen, die so offen zutage treten den Veränderungen in der Ökonomie zu verstehen. Die Erneuerbaren Energien sind eben nicht nur der Austausch von schmutzigen Verbrennungstechnologien. Nachdem in einer ersten Phase der Entwicklung solare Technologien wie PV, Wind, Solarthermie und Biogas als singuläre Technologien entwickelt und marktreif geworden sind, steht nun ihre Verknüpfung untereinander mittels moderner IT an. Hybrid- oder Verbundlösungen sind nicht einfach die simple Addition vorhandener Komponenten. Die Integration von Erneuerbaren Energien mit der Welt der IT führt zu qualitativ völlig neuen Lösungen, die ein exponentielles Wachstum erzeugen werden. Nicht nur in der Stromversorgung, auch in der Wärme, der Prozesswärme, der Mobilität und in der Produktion insgesamt. Dies wird der Ausgangspunkt für grundlegende Veränderungen sein. Vielleicht könnte Homo sapiens sogar der drohenden Klimakatastrophe von der Schippe springen, wenn er das nicht wieder durch Wachstum, Wachstum, Wachstum konterkariert.
Alle die Produkte der Solarisierung werden billiger und konkurrenzfähiger sein, auch wenn sich das mancher noch nicht so recht vorstellen kann. Sie werden die alte Energiewelt zerstören wie weiland die Elektrizität die mechanische Kraftübertragung und in kurzer Zeit neue Märkte wie neue Produktionszentren hervorbringen. Wenn wir nach aktuellen Beispielen suchen, finden wir als Paradebeispiel das Smartphone, das in fünf Jahren den Globus eroberte. Es ist der Hybrid von singulären Technologien, die wir selbst lange als unveränderbar empfunden hatten. Jetzt stecken sie in einer kleinen Kiste, die wir ständig mit uns herumtragen. Auch die wähnte Ablösung der mechanischen Kraftübertragung vor etwas mehr als 150 Jahre ist ein Paradebeispiel für den Gang solcher Disruptionen, wie das inzwischen neudeutsch genannt wird. Die etablierte Dampfmaschine mit mechanischer Kraftübertragung im England der 1840’er und 50’er Jahre hatte der Industrie auf den Britischen Inseln einen scheinbar uneinholbaren Vorsprung und Kapitalstärke beschert. Bis, ja bis solche Herren wie Siemens und Halske die mechanische Kraftübertragung mit elektrischem Strom konterkarierten. Das Zeitalter der Elektrizität begann und alle, die das nicht glauben, bzw. den Abgang zu lange heraus zögern wollten, machten eine Bauchlandung. Dass man in Deutschland diese industrielle Revolution damals nutzen konnte, lag wohl daran, dass kein deutscher Zentralstaat existierte, den die auch damals schon vorhandenen Lobbyisten gegen den Wandel hätten in Stellung bringen können. In der bis 1871 existierenden deutschen Kleinstaaterei konnte sich die neue Elektrizitätswirtschaft entwickeln und dominant werden.
Und heute? Wir erleben, wie die Fossilen mit Haken und Ösen kämpfen um das Alte zu zementieren. Dieselfahrzeuge, Gaskraftwerke, AKWs, fossile Heizkessel und zentrale Stromversorgung sind aber schon heute keine konkurrenzfähigen Technologien mehr. Diese Tatsache wird durch massenhafte fossile Subventionen sowie handfeste regulatorische Behinderungen der neuen Technologien verschleiert. Diejenigen, die in neoliberaler Manier das Wort Markt im Munde führen, müssen sich am meisten davor fürchten. Dieselprämie, Netzabgabe, Bafa-Förderpolitik, Strommarkt 2.0 sind und bleiben staatliche Regulationsbarrieren, mit denen die Entfaltung der Informationstechnologie im Energiesektor verhindert werden soll. Digitalisierungsgesetz, Smart Meter, Demand-Side-Management, sind zwar wohlklingende Begrifflichkeiten, scheinbar entlehnt aus der Welt der IT, aber sie bleiben Regulationswerkzeuge für den Erhalt der alten Strukturen. Der Gedanke, die Erneuerbaren als Juniorpartner ins bestehende Energiesystem eingliedern zu können, ist abstrus. Dies wird nicht funktionieren.
Sind wir nun dazu verdammt, dem Gang der Dinge machtlos zuzuschauen? Wir erleben ja nicht die Deckelung der Erneuerbaren, sondern wie die Forschungspolitik ihre Schwerpunkte verschiebt und sich artig damit befasst, die Monopolsituation im deutschen Verbundnetz zu „modernisieren“. Die scheinheiligen Argumente, die Erneuerbaren gefährdeten Netzstabilität und Versorgungssicherheit, sind hoffähig geworden. Aber außerhalb Deutschlands geht die Entwicklung in eine andere Richtung. Die Integration sauberer Lösungen und Produkte mittels IT geht dort ungebremst weiter. Der deutschen Sektorenkopplung, die Autos mit Kohlestrom fahren lassen und Power to Heat als Brückentechnologie mit GUD-Kraftwerke realisieren möchte, stehen andere Produkte gegenüber. Ein Beispiel ist das „emission free-living“ Paket von Tesla. Da gibt es das Solardach samt Speicher, E-Auto und E-Managementsystem aus einer Hand. Tesla nennt das One Stop Shop. Chinesische Solarmodul und Batteriehersteller produzieren längst E-Autos, E-LKWs und Elektrobusse in Serie. Während in Deutschland die Dezentralisierung der Stromversorgung mit dem Argument abgebügelt wird, Bilanzkreise (die Girokonten der Stromvermarktung) seien so kompliziert, dass sie ohne die Netzbetreiber nicht machbar wären, entwickeln andere Lösungspakete, die bald übers Internet zu beziehen sein werden.
Das führt direkt zu dem, was wir als eigenständige Aufgabe erkennen sollten und was über das hinaus geht, was wir bislang getan haben. Gerade die Bürgerenergie wird sich neue Wege mit neuen Produkten suchen müssen. Auch wenn dies vorübergehend in die Grauzonen solaren Ungehorsams zu führen scheint. Damit das nicht missverstanden wird. Die Bundesregierung samt Bundesnetzagentur kann Rahmenbedingungen verschlechtern, die Anwendung und den Import fortschrittlicher Produkte mit disruptivem Charakter (disruptive innovations) kann sie nicht verbieten. Und gerade Organisationen wie die DGS werden verstärkt um Normierung und Akzeptanz solcher Produkte kämpfen müssen, ganz so wie das beim Thema Balkonkraftwerke der Fall war. Dadurch erzeugen wir Druck und die Politik, die dem entgegensteht, wird sich recht schnell der Macht des Faktischen beugen müssen. Genauso, wie demnächst kommunale Verkehrsbetriebe chinesische E-Busse für den Linienverkehr importieren müssen, wollen sie der Klemme drohender Fahrverbote entgehen. Rote Linien sind dazu da, überschritten zu werden.