15.12.2017
Netzkongress zeigt: Es gibt keinen Plan B fürs Stromnetz
Manchmal sind Ministerialbeamte erstaunlich direkt. „Die Stromanbieter reiben sich die Hände“, erklärte Gerlind Heckmann vom Bundeswirtschaftsministerium dieser Tage in Nürnberg. Mit diesem Satz lobte die BMWi-Ministerialdirigentin beim FNN-Fachkongress Netztechnik die „Digitalisierung der Energiewende“.
Dabei kommt das Digitale nach Meinung vieler Fachleute nur sehr schleppend voran. Vor allem, weil politische Regelungen aus dem BMWi fehlen, gerade Ausführungsbestimmungen. Deshalb werden beispielsweise die sinnvollen elektronischen Zähler („Smart Meter“) schon seit Jahren diskutiert, aber nicht flächendeckend installiert. Bei Gerlind Heckmann hört sich das so an: „Ziele sind u.a. die Planungssicherheit. Das sind Themen, die auf dem Tisch liegen.“
Dennoch: „Sicherer Netzbetrieb mit Big Data; sicherer Netzbetrieb im System – digital; innovative Technologien für den Systemwandel; steuern mit dem intelligenten Messsystem“ waren wesentliche Themen bei der Tagung der FNN. 600 Stromnetzfachleute besuchten heuer den Kongress. Alle zwei Jahre wird dort darüber debattiert, wie „das Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE (FNN) den Wandel der Stromnetze durch die Energiewende als technischer Regelsetzer mitgestalten“ kann. So nämlich lautet das Selbstverständnis des FNN. Und darum hat dieses meinungsbildende Netzforum auch die „Roadmap >Vom Netz zum System<“ veröffentlicht. Dieser „Fahrplan zur Weiterentwicklung der Stromnetze“ mit 13 Schwerpunkten soll „heute die Regeln vorausschauend gestalten“, um „den langfristig sicheren Netzbetrieb mit 80 Prozent Erneuerbaren Energien“ zu gewährleisten: www.vde.com/de/fnn/themen/vom-netz-zum-system/fnn-roadmap
Dabei scheinen die FNN-Macher auch viel realistischer an das notwendige heranzugehen als die zuständigen Ministerialen. Während Gerlind Heckmann der „Sektorenkopplung gute Chancen“ einräumt – also der ökologischen Verbindung von Strom, Wärme und Verkehr -, sehen Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber eher „ernüchtert auf das Pariser Klimaschutzabkommen. Realität versus Hoffnung“ konstatierten in ihrem „Doppelvortrag aus einem Guss“ Stefan Küppers, Geschäftsführer der Westnetz GmbH, und Roland Bauer, Netzentwicklungsstratege der 50Hertz Transmission GmbH. Denn: „Beim CO2-Ausstoß haben wir die Spitze noch nicht einmal erreicht.“
Küppers, zugleich Vorstandsvorsitzender des FNN, forderte auf der Tagung „Spielregeln. Wir benötigen einen Rahmen, der mit Politik und Kunden abgestimmt ist. Gerade für die E-Mobilität.“ Nur so könne man „kritische Infrastrukturen sicher betreiben“. Küppers wie Bauer sehen sich und ihre Unternehmen „ganz klar als Antreiber des notwendigen Netzausbaus“: 7.000 km Höchstspannungs- und 117.000 km Mittelspannungs-Neubau seien unbedingt notwendig. Genau das aber stellte Gerald Höfer vom fränkischen Netzbetreiber Main-Donau-Netzgesellschaft in Frage: „Brauchen wir diesen Netzausbau wirklich? Der Ausbau ist nicht die Lösung!“ Worauf sich Roland Bauer auf den „Bundesbedarfsplan Netz“ berief, den „wir mehrfach untersucht haben. Wir tragen wie ein Eichhörnchen alle Informationen zusammen. Wir wollen ja nicht bauen, was hinterher nicht gebraucht wird“, machte er Höfler Hoffnung auf Umdenken – auch beim FNN.
Außerdem wünscht sich 50Hertz-Mann Bauer, „dass wir Netzbetreiber ein besseres Image in der Öffentlichkeit haben“. Das ist auch deshalb beschädigt, weil Netzausbau-Gegner sich oft übergangen fühlen. Ob deshalb Hubert Aiwangers Freie Wähler dieser Tage im Bayerischen Landtag einen Dringlichkeitsantrag „Stromtrassen stoppen“ eingebracht haben? „Gigantomanie! Räumlich und finanziell vollkommen überdimensioniert und angesichts des gigantischen Flächenfraßes absolut nicht notwendig" seien die neuen Leitungen, ist die FW-Fraktion überzeugt.
Organisierte Trassengegner wiederum setzen auf Europas Gerichte. Einige gehen gegen das hiesige Netzausbau-Beschleunigungsgesetz NABEG mit Verweis auf das Aarhus-Protokoll vor. Denn das NABEG schließe echte Öffentlichkeitsbeteiligung vor den konkreten Planungen aus, meinen viele Ehrenamtliche. Aber was wäre, wenn der europäische Gerichtshof den von Bundes- und FNN-Verantwortlichen unisono als „unverzichtbar“ genannte Netzausbau via NABEG tatsächlich als nicht dem Aarhus-Protokoll konform beurteilt? „Wir haben tatsächlich keinen Plan B“, gab BMWi-Ministeriale Gerlind Heckmann bei der Tagung in Nürnberg auf Nachfrage ganz offen zu.