14.10.2016
Klimaschutz: Mit dem Verbrennungsmotor zur Dekarbonisierung?
Wenn man den Informationen des Spiegels glauben durfte, hatte der Bundesrat in seiner jüngsten Sitzung beschlossen, ab 2030 keine Benzin- und Dieselautos mehr neu zuzulassen. Ein solcher Beschluss ist in den Plenarprotokollen jedoch nicht zu finden, da er gar nicht abgestimmt wurde.
Unabhängig davon gab es einen Antrag des Bundesvorstands der Grünen für die Bundesdelegiertenkonferenz im November in Münster, der dies fordert. Aber dafür holten sich die Grünen bereits die zu erwartend harsche Kritik von Seiten der Regierungsparteien ab. Die Idee selbst ist an sich nicht neu. Erst kürzlich hatte die norwegische Regierung mit einem ähnlichen Vorstoß für Aufregung gesorgt. In dem skandinavischen Land sollen bereits ab 2025 keine neuen Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden. Die Chancen stehen dabei nicht schlecht, schließlich haben sich vier führende Parteien aus dem linken und rechten Spektrum darüber bereits geeinigt.
Kein Beschluss, nur ein Vorschlag
Weshalb man den vermeintlichen Bundesratsbeschluss durch die Medien trieb ist unklar. Schließlich wurde in der Sitzung des Bundesrats vom 23. September lediglich beschlossen, eine Stellungnahme zur „Europäischen Strategie für emissionsarme Mobilität“ abzugeben. Im besagten EU-Papier steht unter anderen: “Da die durchschnittliche Nutzungsdauer von Lkw etwa zehn Jahre beträgt, werden die im Jahr 2020 verkauften Fahrzeuge auch 2030 noch auf europäischen Straßen unterwegs sein. Um zügige Fortschritte erzielen zu können, werden verschiedene Normungsoptionen – sei es ausschließlich für die Motoren oder für das gesamte Fahrzeug – in Betracht gezogen, sodass die Emissionen noch weit vor 2030 reduziert werden können.“
In der entsprechenden Stellungnahme des Bundesrats heißt es dann unverbindlich, dass gerade europaweit angenäherte Steuern und zweckgebundene Abgaben auf Fahrzeuge und Kraftstoffe geeignet sind, den Wandel zu einer emissionsfreien Mobilität zu befördern. Hier gelte es, die bisherigen Steuerpraktiken auf ihre Wirksamkeit auszuwerten und Vorschläge zum effizienten Einsatz von Abgaben und steuerrechtlichen Instrumenten zu unterbreiten damit spätestens ab dem Jahr 2030 unionsweit nur noch emissionsfreie Pkw zugelassen werden. Also doch das Aus für Diesel und Benziner? Nein, denn Vorschläge sind keine Beschlüsse. Ähnlich wie bei anderen Klimaabkommen ist hieraus kein konkreter Handlungsauftrag abzuleiten. Der gute Wille wird vorgetäuscht, mehr nicht.
Now-Future Politik
Was nach der Meldung des Spiegels folgte, war so wenig verwunderlich wie erträglich. Die Fraktion der Neinsager antwortete wie gewohnt mit Reflexen. Ob das die richtige Reaktion ist, darf bezweifelt werden. Wie heißt es so schön in der Literatur: Reflexe ermöglichen Lebewesen ein Leben in einer langfristig konstanten Umwelt. Unter Reflexen versteht man das automatische, schematische bzw. stereotype Reagieren.
So wurden Stellungnahmen im Minutentakt verschickt, die Argumente waren nahezu identisch. Auch wenn in der Bevölkerung durchaus positiv diskutiert wurde, wollte man sich von Seiten der Verantwortlichen nicht die Blöße geben, einen progressiven Vorschlag überdenken zu müssen.
Als einer der ersten reagierte Bundesverkehrsminister Dobrindt von der CSU. Für ihn sei ein komplettes Aus für Verbrennungsmotoren in den nächsten 14 Jahren „vollkommen unrealistisch“. Er ist überzeugt, dass es den Verbrennungsmotor mit Zylinder, Kurbelwelle und Ventilen auch nach 2030 noch geben wird. Schließlich, so seine Überzeugung, werde es parallel zum Hochlauf der Elektromobilität noch viele Jahre auch Verbrennungsmotoren in der Automobilindustrie geben.
In die gleiche Kerbe schlug Daimler-Chef Zetsche. Seiner Ansicht nach sei es zwar völlig in Ordnung, wenn gesetzgeberisch durch CO2-Emissionsvorgaben Rahmenbedingungen geschaffen würden. Aber die Lösung technologisch vorzuschreiben, sei nicht Aufgabe des Gesetzgebers. Aufgabe einer Bundesregierung sei vielmehr, in die Infrastruktur für eine weitere Elektrifizierung auf der Straße zu investieren. Und überhaupt, habe es wenig mit einer Marktwirtschaft zu tun, die Technologie und das Kundenverhalten vorzuschreiben. Dass Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann Herrn Zetsche zur Seite sprang, war nicht überraschend. Er hält es zwar durchaus für die Aufgabe der Politik, einen Ordnungsrahmen für einen geordneten Ausstieg aus fossilen Kraftstoffen zu schaffen. Als sinnvollen ersten Schritt sieht er vielmehr die technologieoffenen Vorgaben der EU für eine Senkung der Emissionen auf 70 g CO2/km bis 2025 an. Grundsätzlich deklarierte er die Vorschläge auch zu „Rufen, die von allen von dort kämen, wo es keine Automobilindustrie gibt.“
Schließlich wollte auch die FDP in der Kakophonie nicht fehlen. Parteichef Lindner ließ verlautbaren: "Die Klimapolitik der Grünen ist dabei, sich komplett vom gesunden Menschenverstand zu verabschieden. Es ist ökonomisch schädlich, ökologisch unnötig und praktisch unmöglich, bereits 2030 komplett auf Verbrennungsmotoren zu verzichten. Mit dieser Form der Ideologie wären Deutschland und Europa nicht Vorreiter, sondern nur Irrlichter des global nötigen Klimaschutzes. Ein politisch erzwungenes Aus für den Verbrennungsmotor kann seiner Einschätzung nach sogar für den Klimaschutz kontraproduktiv sein. So weit, so schlecht. Matthias Wissmann, ehemaliger Politiker, heute Cheflobbist beim Verband der Automobilindustrie, ist zuversichtlich, dass es auch freiwillig geht. Der Verkehrssektor wird seinen Anteil zur CO2-Reduzierung leisten. Allerdings müssen Klimaschutz und die Zukunftsfähigkeit des Industriestandorts Europa sinnvoll ausbalanciert werden.
Ein positives politisches Feedback kam übrigens aus dem Bundesumweltministerium. Ministerin Hendricks begrüßte die Haltung des Bundesrates. Schließlich habe man auch schon früher das Jahr 2030 als das Datum genannt, zu dem man einen emissionsfreien Fahrzeugverkehr anstreben sollte. Ab diesem Zeitpunkt sollten keine Neuzulassungen von Verbrennungsmotoren mehr erfolgen. Hintergrund sei das Ziel, bis 2050 die Dekarbonisierung - also die Abkehr von Kohle, Erdgas und Öl - umgesetzt zu haben.
Fazit: Die Politik soll die Rahmenbedingungen so setzen, dass auch weiterhin klimaschädliche Fahrzeuge produziert und exportiert werden können. Was genau man unter einem Ordnungsrahmen für einen geordneten Ausstieg aus fossilen Kraftstoffen versteht bleibt im Dunkeln. Ordnungspolitische Maßnahmen, wie ein Verbot von neu zugelassenen Verbrennungsfahrzeugen ab 2030, scheinen nicht darunter zu fallen.
Warten auf die Ladesäulen
Lehnt man ein perspektivisches Verbot fossil betriebener Fahrzeuge mit dem Argument ab, dass es an der Infrastruktur einer elektrischen Mobilität mangelt, weicht man der eigentlichen Problemstellung aus. So ist der Individualverkehr nach wie vor auf dem Vormarsch und die Fahrzeugdichte nimmt stetig zu. Solange sich die Fahrzeugflotte Jahr für Jahr vergrößert, bleiben wir auch bei der Umstellung zu Elektroautos in der Rebound-Falle. Die Mobilität wird effizienter aber in der Summe steigt der Energieverbrauch weiter an. Zögert man das Verbot von Neuzulassungen weiter raus, wird eine gewaltige Anzahl fossil betriebener Fahrzeuge auch noch nach 2050 über unsere Straßen rollen. Und schaffen wir es nicht von den immer noch sehr hohen Neuzulassungen runter zu kommen, bleibt die Dekarbonisierung ein theoretisches Ziel. Noch ist beispielsweise die PKW-Dichte in Deutschland 10 mal höher als in China. Eine solche Politik des Aussitzens kann auch die größte Energie-Erzeugungswende nicht kompensieren.
Die Botschaft ist so klar wie irreführend: Wenn alle Bundesbürger ihre Benziner und Dieselfahrzeuge nur in Elektroautos tauschen würden, müsse niemand seine Gewohnheiten ändern. Ehrlicher wäre es zu sagen, dass wenn wir uns nicht dazu bequemen, unsere Lebensumstände zu ändern und beginnen die Energiewende als eine umfassende Strom-, Wärme-, und Mobilitätswende zu begreifen, es nicht zu schaffen sein wird. Auch sollte man sich bewusst machen, dass eine Mobilitätswende im völligen Einvernehmen mit der Automobilbranche wohl kaum auf den Weg gebracht werden kann. Wie bei den großen Strom- oder Wärmeerzeugern ist der Transformationsprozess kein leichter.
Matthias Hüttmann
Links:
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