12.10.2018
Klima: Zwischen Problem und Antwort klafft eine große Lücke
Der Klimawandel ist nicht mehr zu vermeiden. Das ist zwar nichts Neues, sollte aber im Zusammenhang mit dem gerade veröffentlichten Sonderbericht „Global Warming of 1.5°C“ des Weltklimarats (IPCC) nicht übersehen werden. Längst leben wir in einer selbst gemachten Warmzeit, es geht nun darum, ob daraus eine Heiszeit, sprich ein, wie es Hans Joachim Schellenhuber formuliert, gefährlicher oder auch gar ein katastrophaler Klimawandel wird. Der IPCC-Bericht hat wieder mal aufgeschreckt, Politiker zeigen sich betroffen und wach gerüttelt, auch wenn eigentlich nichts komplett Überraschendes in dem Papier steht. Und obwohl, zumindest in der meist zitierten Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger, um jede Formulierung gerungen wurde und der Text dadurch ein wenig an Kraft verliert, vieles aus Konsensgründen dort nicht niedergeschrieben wurde, gibt es eine neue Botschaft: Selbst bei Erreichen der Pariser Klimaziele, die immer wieder als ehrgeizig tituliert werden, wird es bereits in vielen Ebenen zu einer Eskalation kommen.
- Zur Erinnerung: Im Pariser Übereinkommen wurde eine „Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2°C über dem vorindustriellen Niveau, wenn möglich auf 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau“ vereinbart.
Das „Revolutionäre“ an dem IPCC-Bericht ist, dass bereits die 1,5 °C das höchste der Gefühle ist, wir uns bereits auf etwa plus 1 °Celsius über dem vorindustriellem Niveau befinden und immer mehr Zeit verlieren, die wir nicht haben. Für den Sonderbericht werteten hunderte Klima- und Meeresforscher, Statistiker, Ökonomen und Gesundheitsexperten Tausende Studien aus und gaben Empfehlungen, was passieren muss. Ein Fazit: Es wird immer teurer und schwieriger, wenn Maßnahmen hinausgezögert werden. Nicht nur deshalb wirft der Klimaexperte Hans Joachim Schellnhuber der Bundesregierung auch Untätigkeit vor und betonte, dass man nicht immer ehrgeizigere Klimaziele in der Zukunft brauche, sondern vielmehr sofortige und ehrgeizige Maßnahmen zu deren Umsetzung. Das kann man nur unterstreichen und zusammenfassen: Statt ehrgeizigerer Ziele brauchen wir ehrgeizigere Maßnahmen!
Die 1,5 °C sind noch möglich, zumindest aus physikalischer und chemischer Sicht. Anders sieht es aus politischer und ökonomischer Sicht aus. Der Eindruck verschärft sich, dass man dort auf eine technologische Revolution wartet. Technologiewandel kann zwar innerhalb kürzester Zeit passieren, aber was ist mit der menschlichen und ökologischen Seite? Wenn hier keine entsprechenden Rahmenbedingungen gesetzt werden, kann es zu Disruptionen kommen, die weder Welt noch Menschheit beherrschen könnten. Wenn nur wenige Reiche davon profitieren und die Lebensgrundlagen des Planeten Erde reduziert werden, ist der Sache auch nicht geholfen. Schon vor Jahrzehnten hätte man einen Strukturwandel einleiten können, aber unser kurzfristiges Denken passt anscheinend irgendwie nicht zu den langfristigen Klimaabläufen.
Ein Baustein in Sachen Klimaschutz wäre im Übrigen auch ein forcierter Ausstieg aus der Kohle, speziell aus der Braunkohle. Das fällt jedoch schwer, wie wir hier schon mehrfach geschrieben haben. Jürgen Döschner vom Westdeutschen Rundfunk hat die Frage „Wie schnell oder langsam der Kohleausstieg kommen muss, damit er für Arbeitnehmer und Unternehmen in den betroffenen Regionen verträglich ist“ in einem Kommentar kürzlich sehr treffend beantwortet, als er sagte: „Die Frage ist falsch gestellt, sie muss heißen: Wie viel verbrannte Kohle und damit wie viel CO2 verträgt der Planet Erde noch? Aus der Antwort auf diese Frage ergibt sich die "Restlaufzeit" für die Kohle.
Es gibt Erfolge
In letzter Zeit häufen sich die „Erfolgsmeldungen“: Es gibt Fahrverbote für Diesel, der Hambacher Wald wird vorerst nicht gerodet, die niederländische Regierung muss den Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen bis 2020 deutlich senken. Das Traurige daran: Alle diese Erfolge wurden auf dem Klageweg erkämpft.
Christopher Weber, Klimawissenschaftler beim WWF hat das einmal so formuliert: „Wir haben die Ziele, und wir wissen jetzt, dass der einzige Unterschied zwischen unmöglich und möglich die politische Führung ist.“
Bestes Beispiel: Am Tag nach der IPCC-Veröffentlichung setzte sich die Bundesregierung massiv für eine nicht zu hohe Emissionsreduzierung bei Neufahrzeugen ab 2020 ein, nur 30% sollten es sein. 20 der 28 EU-Mitgliedssaaten wollten jedoch 40%. Das Ergebnis war, dass 20 EU-Staaten für einen Kompromiss von 35% stimmten und vier Staaten dagegen votierten, vier weitere enthielten sich. Die Basis für die künftige Reduzierung sind 95 Gramm Kohlenstoffdioxid pro Kilometer, die Neuwagen im Flottendurchschnitt ausstoßen dürfen. Hier wird wieder mal deutlich, dass zwischen Wahlreden und politischem Handeln eine gigantische Lücke klafft.
Klimawandelleugner auch wo man sie nicht vermutet
Manchmal ist es erschreckend, was man so finden kann, wenn es denn so stimmt. So ist auf der Seite von Lobbypedia über Marie-Luise Dött, der umweltpolitischen Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu lesen, sie bezweifle, dass die globale Erwärmung menschengemacht sei. Stattdessen stelle sie die Frage, wie man die Politik wieder auf einen anderen Kurs bekomme, weg vom Klimaschutz und den immer neuen Lasten für die Wirtschaft. Über die Veranstaltung der FDP-Fraktion zum Klimaschutz unter Beteiligung des US-Klimawandelleugners Fred Singer, auf der auch Frau Dött ihre Position ausbreitete, berichtete die Financial Times vom 16. September 2010 wie folgt: "Einen Temperaturanstieg, da ist sich die Runde einig, gibt es, aber der Mensch trägt daran kaum eine Schuld. CO2 sei schon immer in der Luft gewesen, und auch das Klima habe sich stets gewandelt. Mal war es eben kälter, und dann wieder wärmer. Da sei doch nichts dabei. "Die Mehrheit der Menschen ist einfach beeinflussbar und leicht handelbar", erklärt Dött. All das, was Merkel und Norbert Röttgen täglich hochhalten, sei eine "Ersatzreligion". Die aber, die es wagten, daran zu zweifeln, "können geächtet werden, die müssen eventuell auch beichten, die müssen dann ins Fegefeuer oder kommen sogar in die Hölle, wenn sie ganz schlimm sind". Von freier Wissenschaft könne keine Rede mehr sein, Deutschland gehe mehr und mehr einen Sonderweg. "Mir macht es Spaß, hier innerhalb der FDP zu sein", bekennt sie sich."
Das wiederum würde zu der Äußerung von Dött vom 9. Oktober 2018, kurz nach Veröffentlichung des IPCC-Berichts, passen. Darin warb sie um mehr Geduld bei der Umsetzung der Klimaschutzziele. Das sei, so Dött, ein Prozess, der bis 2050 laufe. Dött betonte, wenn man die Klimaziele erreichen wolle, brauche man einen gesellschaftlichen Konsens. Die Ziele müssten sozial gerecht umgesetzt werden. Denn Klimawandelleugner geben sich heute weniger die Blöße in dem sie die Fakten bestreiten, vielmehr benutzen sie subtiler die „sechs Stufen der Verleugnung“, wie sie auch in dem Buch „Der Tollhauseffekt“ von Klimaforscher Michael Mann beschrieben werden. Christopher Schrader hat sie hier sehr gut zusammengefasst.
Fazit
Die Antworten auf die Frage, was alles konkret getan werden müsste, um einen wirksamen Klimaschutz zu erreichen ist eigentlich banal. Das Problem liegt vor allen darin, wie sich das überhaupt umsetzen ließe, wenn eine Mehrheit so weiter leben will wie bisher. Denn ein Wirtschaften wie heute wird nicht mehr lange funktionieren. Auch wird es nicht möglich sein, alle bestehenden Unternehmensstrukturen zu erhalten und weiterhin zu produzieren und zu konsumieren. Die Frage, wie eine derart breite Transformation erfolgen könnte, wird sich nicht so einfach beantworten lassen. Es wird immer deutlicher, dass zwischen dem Problem und der Antwort eine große Lücke klafft, die, je länger man wartet, umso größer wird. Der Klimawandel bringt es an den Tag und ist vielleicht die letzte Chance zu begreifen, dass wir längst die Grenzen überschritten haben und es sich mit der Physik nicht kuhhandeln lässt.
Weiterführender Text: Was steht konkret in dem Bericht