10.02.2017
Die uncoole Leier von der Dunkelflaute: Verbundlösungen müssen vorangetrieben werden
Alle Jahre wieder kommt – nein, nicht das Christuskind ist gemeint – es kommt die sogenannte Dunkelflaute. Dieser Kampfbegriff, vornehmlich von den Kohleverstromern des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) kultiviert und von Bild über Spiegel bis zur Welt den Bundesbürgern um die Ohren gehauen, ist ein Januarbastard. Und das nun schon seit vielen, vielen Jahren. In der kalten und dunklen Jahreszeit soll die Angst vor den Erneuerbaren umgehen bzw. der Zweifel daran, ob allein mit ihnen eine Strom- und Wärmeversorgung möglich wäre. Während der Dunkelflaute, so das Narrativ, soll die Ökostromproduktion einbrechen, denn da gibt es die für die Jahreszeit typischen Hochdruckgebiete mit Nebel und Windstille. Die Erneuerbaren Energien seien eben fluktuierend. Soll heißen unstet, unzuverlässig und unkalkulierbar. In diesem Jahr war der 24. Januar Dunkelflaute. Schrecklich, bedrohlich. Haben sie’s bemerkt? Wohl kaum, denn, so beruhigte uns am Mittwoch der Spiegel, es gebe ja noch konventionelle Kraftwerke. Zwar sei mit der Kohleverstromung kein Geld mehr zu verdienen, mithin sei da auch ein Unsicherheitsfaktor enthalten, aber es gebe ja noch die Gaskraftwerke. Die seien zuverlässig. Also Kohle und Gas sind nicht fluktuierend und sicher. Das muss der Bürger und Konsument verstehen und verinnerlichen.
Fluktuation sei also das Problem, so die vereinten Kohle- Öl- und Erdgasbefürworter. Aber was hat es mit der Fluktuation auf sich? Gibt es Fluktuation nicht schon so lange, wie das Universum und die Erde existieren? Wie konnten die Menschen bis heute überleben, wenn Fluktuation eine Art K.O.-Kriterium sei, wie die Gegner der Erneuerbaren suggerieren? Merkwürdig, Menschen existieren ja nicht erst, seit die Kohlekraftwerke und der Verbrennungsmotor erfunden wurden. Die Menschheit hat sich seit Jahrtausenden auf die Jahreszeiten mit ihren unterschiedlichen Wetterbedingungen und Erntezeiten eingestellt, lebt mit der Fluktuation von Tag und Nacht, Sommer und Winter, Ebbe und Flut, und ist weder verhungert, noch durch Erfrieren ausgestorben. Die Menschen haben es immer geschafft, mit Fluktuation umzugehen, haben es verstanden, diese zu beherrschen. Mit einer Vielfalt von Verhaltensweisen und Techniken, zu denen, neben der Bekleidung, unter anderem Bevorratung und Speichern gehören. Getreide, Früchte, Fisch und Fleisch, kurz alles was der Mensch verzehren kann, wurde haltbar und in anderen Form konsumierbar gemacht. Seit Jahrtausenden; man nennt das Kulturtechnologien. Was ist Brot anderes als ein Bevorratungstechnologie, was Marmelade, Bier, gebratenes Fleisch oder Tiefkühlpizza? Zudem schmeckt es mit der Veredelung noch besser. Und jetzt kommen die Kohle-, Öl- und Atomfritzen und behaupten, mit Erneuerbarer Energie ginge das nicht und das Ende der Menschheit drohe. Nüchtern betrachtet ist es aber genau umgekehrt. Deren eigenes Ende droht, was unter Klimaschutzaspekten alles Andere als falsch wäre.
Am 24. Januar 2017, schreibt der Spiegel, habe der Beitrag der Erneuerbaren Energien zur deutschen Stromversorgung bei lediglich elf Prozent gelegen. Solar- und Windanlagen hätten sogar nur gut zwei Prozent beigetragen. Das ist nicht nur richtig, es zeigt auch den aktuellen Stand der Energiewende. 26.000 Windkraftanlagen und 1,2 Millionen Solaranlagen in Deutschland sind nicht nur ein Anfang, der längst nicht ausreicht. Vor allem markiert es den technologischen Stand der singulären Technologien von Wind und Sonne, der weiter entwickelt werden muss. Den ertragsschwachen Tagen, wie dem 24. Januar, stehen nämlich Tage mit überbordenden Erträgen gegenüber, die bisher nicht genutzt werden können. Wir beherrschen diese Fluktuation noch nicht, so kann man es auch ausdrücken. Es kann also nicht darum gehen, den aktuellen BDEW-Forderungen, die mit der Dunkelflaute scheinheilig begründet werden, nachzukommen, und mit „neuen Regelungen“ den Betrieb ihrer kaum rentablen Meiler wieder attraktiv zu machen. Stattdessen müssen Anstrengungen unternommen und finanziert werden, um die jetzt noch singulär arbeitenden Erneuerbaren aus Wind, PV und Speichern zu neuen Verbundlösungen zusammen zu fassen. Statt „Vergütungen für Systemdienstleistungen“ der Altanlagen, wie die Lobbyisten des BDEW fordern, müssen neue, dezentrale EE-Kraftwerkslösungen etabliert werden, die den großen Kohle- und Atomkraftwerken die Systemverantwortung auf der Übertragungsnetzebene entreißen.
Die Systemverantwortung muss Stück für Stück zu dezentralen Verbundlösungen auf der Verteilnetzebene verschoben werden. Dabei geht es technologisch um die Ergänzungen von Wind und PV und die Integration von Speichern, welche schon heute Spannungs- und Frequenzhaltung besser und billiger leisten als die rotierenden Massen der Großkraftwerke und für die der BDEW nun neue Pfründe aufreißen will, ähnlich wie er es mit den Reservekraftwerken 2016 geschafft hatte. Neue Verbundkraftwerkslösungen in der Fläche werden, neben ebensolchen Lösungen in den Kommunen, nicht nur die fluktuierende EE-Erzeugung verstetigen. Sie werden zu einer Stabilisierung der Verteilnetze bis hinunter auf die Ortsnetzebene führen und den Netzausbau verringern. Ihre Erzeugungsspitzen werden nicht mehr wie heute abgeregelt, stattdessen bieten sie Power to Gas und Power to Heat endlich die Möglichkeiten, die Fluktuationen technisch und wirtschaftlich in den Griff zu bekommen. Die uncoole Angstmache der Kohle- und Atomstromer sollen verschleiern, dass auf Seiten der EE-Freunde längst ein neues Bild der nächsten Etappe einer dezentralen Energiewende entstanden ist. Die neue Phase der Energiewende wird sich damit befassen, die Fluktuationen der erneuerbaren Energieerzeugung in den Griff zu bekommen und den Beweis antreten, dass dies natürlich möglich ist und zum Stand der Technik werden wird.
Klaus Oberzig
Ist der Winter wirklich zu düster für den Ökostrom? (Siegel, 07.02.17)