08.09.2017
BNetzA: Mindestabstände - Nein Danke!
Wie weit sollten neue Überlandleitungen von Mensch und Tier Abstand halten? Das Bundesamt für Strahlenschutz BfS Salzgitter hat Ende letzten Jahres kurz und knapp ganz klare Vorschläge dazu gemacht. Die Bundesnetzagentur BNetzA, die Genehmigungsbehörde für Gleich- und Drehstromtrassen, nimmt die Empfehlungen der Strahlenschützer zwar zur Kenntnis. Aber sie wischt die Abstandsempfehlungen mit dem Hinweis auf „geltende Gesetze“ mir nichts Dir nichts vom Tisch.
„Die elektronische Welt hat ihre eigenen Gesetze und wird sie uns aufzwingen. Totale Technik geht immer ins Totalitäre. Protokolle geben den Firmen Kontrolle über die Arbeitsabläufe und über ihre Mitarbeiter, die gezwungen sind, sich selbst zu kontrollieren. Beratung wird zum Abhaken von Fragen, die der Computer festgelegt hat, und danach muss gleich das Datenblatt ausgefüllt werden.“ Man muss Manfred Posers neues Buch „Elektrosmog“ (Crotona-Verlag Amerang, ISBN: 978-3-86191-086-2) nicht insgesamt gut heißen. Aber diese Einschätzung von Technikgläubigkeit ist voll auf die Höchstspannungsleitungen zu übertragen, die zurzeit kreuz und quer durchs Land geplant werden. Ob über oder unter der Erde. Dort herrscht reiner Formalismus.
Da nützt es wenig, wenn das BfS rigide Abstandsregeln fordert. BfS-Direktor Professor Michael Thieme will „Siedlungsflächen, soweit der Strahlenschutz bzw. die menschliche Gesundheit betrachtet werden, für die Prüfung räumlich erweitert behandeln.“ Denn die Strahlung von Stromleitungen könne „auch aus einiger Entfernung auf Siedlungsflächen einwirken.“ Deshalb schlägt Thieme vor, dem „Vorsorgegedanken“ Vorrang einzuräumen und sich „an den Vorgaben des Gesetzes zum Ausbau von Energieleitungen (EnLAG) zu orientieren“.
Das bedeutet für den Strahlenfachmann konkret: Der Abstand müsse größer sein als die „Einwirkungsbereiche von Höchstspannungsfreileitungen“. Die definiert er bei Gleich- wie Drehstrom mit „bis zu 400 Meter und damit in guter Übereinstimmung mit den im EnLAG geregelten Abständen“. Werde das von Anfang an eingehalten, entfalle auch später die aufwändige Einzelfallprüfung, nennt Michael Thieme als zusätzlichen Grund für die Empfehlung.
OK. Die BfS-Stellungnahme ist nur eine von 128, die bei der BNetzA im Rahmen der Netzausbau-„Bedarfsermittlung 2017-2030“ eingegangen sind: Rückmeldungen von Ministerien, Bundes- und Landesbehörden, Verbänden, Kommunen, Landkreisen, naturschutz-und umweltbezogenen Vereinigungen. Doch Strahlenschutz ist Gesundheitsschutz, das weiß heute jedes Kind. Und auf minimierte Strahlung achten inzwischen immer mehr Menschen, ob bei Mobil- oder Festnetztelefonen. Oder eben auch bei Hochspannungsleitungen.
Doch fachliches Strahlen-Know-how ficht die BNetzA offenbar nicht an. „Die Pufferung von Siedlungsbereichen erscheint im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung SUP zum Bundesbedarfsplan BBP nicht sachgerecht und wird auf der Ebene der Bundesbedarfsplanung nicht weiter betrachtet“, schreibt die BNetzA in ihrer 124 Seiten starken „Bedarfsermittlung 2017-2030“ vom April 2017.
Und dann werden „mehrere Stellungnehmer“ ausgekontert, die gefordert haben, „Abstandsregelungen für das Schutzgut Mensch in die SUP aufzunehmen“. Das tut die BNetzA nicht strahlenfachlich, sondern indem sich die auf die 26. BImSchV beruft, die 2013 novellierte, aktuelle Bundes-Immissionsschutzverordnung. Dort seien „Anforderungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen und zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder geregelt. Und darin sind Grenzwerte für Höchstspannungsleitungen festgelegt, die zwingend eingehalten werden müssen.“ Die BImSchV „entspricht dem heutigen technischen und wissenschaftlichen Stand“. Eine klarer Tiefschlag für die Fachbehörde BfS und alle anderen Einwender.
Dabei muss die BNetzA zugeben: „Bislang gibt es keine bundesweit geltenden Mindestabstände für Stromleitungen zu Wohngebäuden.“ So sei zwar unzulässig, Freileitungen in weniger als 400 m zu Wohngebäuden zu errichten. Das Verbot gelte aber nur für Gebäude „im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder im unbeplanten Innenbereich im Sinne von § 34 Baugesetzbuch BauGB, falls diese Gebiete vorwiegend dem Wohnen dienen“. Im „Außenbereich im Sinne von § 35 BauGB“ ist dagegen der halbe Mindestabstand erlaubt, also gerade mal 200 m zu Wohngebäuden.
Doch das gilt sogar nur bei überirdischen Leitungen: „In diesen Bereichen könnten jedoch Höchstspannungs-Gleichstromerdkabel verlegt werden.“ Eine generelle Mindestabstandsregel gebe es demnach nicht, so die BNetzA in Kapitel „0.3.7.1 Mensch, einschließlich der menschlichen Gesundheit“ besagter „Bedarfsermittlung 2017-2030“.
Und auch das EnLAG bewertet die Netzagentur sichtlich anders als das Bundesamt für Strahlenschutz. Die EnLAG- „Zielrichtung liegt nicht im Schutz vor elektromagnetischer Strahlung“. Stattdessen regle es lediglich jene „technisch und wirtschaftlich effizienten Teilabschnitte“, auf denen „neu zu bauende Höchstspannungsleitungen erdverkabelt werden, wenn die Leitung in bestimmten Abständen (weniger als 200 bzw. 400 m) zu Wohngebäuden errichtet werden soll“.
Damit postuliert die BNetzA einerseits: „Die im EnLAG normierten Abstände stellen keine Mindestabstände für Höchstspannungsfreileitungen dar.“ Was das BfS ja offensichtlich anders wertet. Doch die BNetzA geht noch weiter: „Es besteht grundsätzlich keine Verpflichtung zur Teilverkabelung. Gründe für die gewählten Abstände oder gar eine wissenschaftliche Herleitung sind in der Begründung des Gesetzesentwurfs zum EnLAG nicht enthalten.“ Da haben Politiker den vom Leitungsbau Betroffenen gerade in Bayern Anderes versprochen.
Ein Sprecher der BNetzA legt in einem Schreiben an die Redaktion gar noch eins drauf: „Es lassen sich keine pauschalen Kriterien festlegen, anhand derer der Wohnumfeldschutz eindeutig bemessen werden kann.“ Zwar müssten sich die Übertragungsnetzbetreiber, die die Leitungen bauen sollen, in den bald folgenden Verfahrensschritten Bundesfachplanung und Planfeststellung (PFS) an Recht und Gesetz halten. Aber weil in der PFS „eine konkrete Abstandsregelung gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, kann die BNetzA diese den ÜNB nicht vorgeben“. Dabei scheint es egal, ob die Trassen überirdisch oder unterirdisch verlaufen sollen.
Ob das die potenziellen Anwohner schon wissen?