06.07.2018
Der Stand der Energiewende (Netto oder Brutto?)
Wo stehen wir bei der Energiewende? Auf diese Fragen haben viele Organisationen unterschiedliche Antworten. Den Standpunkt der Bundesregierung zeigt der 6. Monitoringbericht zur Energiewende, der Ende Juni erschienen und verabschiedet wurde. Gleich zu Anfang werden die zentralen Botschaften zusammengefasst, die – auch aufgrund des Datenmaterials aus dem Jahr 2016 – nicht verwundern: Die Energiewende ist in den europäischen Kontext eingebettet. Über 30 Prozent des Bruttostromverbrauches wurden in 2016 erneuerbar erzeugt, gleichzeitig wurden durch den Wechsel auf das Ausschreibemodell die Kosten bei neuen Anlagen deutlich gedrückt.
Auch die Schattenseiten sind niedergeschrieben: Der Primärenergieverbrauch ist 2016 gegenüber dem Vorjahr sogar um 1,4 % angestiegen. Als Gründe werden das kühle Wetter und das Wirtschaftswachstum angeführt. Auch die Einsparziele in Gebäuden wurden gerissen: Hier stieg der Endenergieverbrauch um 4,3 Prozent anstatt zu fallen, die Klimaziele sind auf diesem Weg nicht erreichbar. Gleiches gilt für den Verkehr mit einem Anstieg von 2,9 Prozent gegenüber 2015.
Die Stromversorgung in Deutschland ist – auch mit dem Ausbau der Erneuerbaren - stabil und versorgungssicher. Die Strompreisdynamik wird als „gebremst“ bezeichnet: Der Haushaltskunde hat 2016 noch eine Preiserhöhung von 2,4 % zu verzeichnen, jedoch 2017 keine Steigerung mehr. Der Gewerbestrom ist sogar in 2016 um 4 % billiger geworden. Schon in der Zusammenfassung findet sich die Forderung, dass der Netzausbau beschleunigt und die Netze modernisiert werden müssen. Weiterhin wird auf den Export von Anlagen und Komponenten für Erneuerbare Energien im Umfang von 12 Mrd. Euro im Jahr 2016 verwiesen, was auch wirtschaftliche Chancen bietet.
Soweit die inhaltliche Zusammenfassung, die im Wesentlichen keine neuen Erkenntnisse liefert. Doch der Monitoringbericht soll mehr leisten: Er soll bewerten, ob die Ziele des Energiekonzeptes der Bundesregierung erreicht werden und Maßnahmen vorschlagen, um umzusteuern. Gelingt das? Schauen wir nach:
Beim Anteil der Erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch stehen wir im Jahr 2016 bei 14,8 Prozent, das Ziel für 2020 steht bei 18 Prozent. Der Bericht stellt fest: „Dieses Ziel kann nur durch einen weiteren ambitionierten Ausbau der Erneuerbaren Energien in den Sektoren Strom und Wärme sowie eine deutliche Erhöhung der Anstrengungen im Bereich Verkehr erreicht werden.“ Gibt es dazu konkretere Ideen? Der Monitoringbericht liefert hierzu nichts. Direkt anschließend wird jedoch betont, dass das EEG das zentrale Steuerungselement zum Ausbau der Erneuerbaren Energien sei. Das ist natürlich für den Strombereich richtig, aber gerade Wärme und Verkehr sind hier nicht enthalten!
Zum Energieverbrach insgesamt führt man aus: „Insgesamt bleibt der Handlungsbedarf sehr hoch, um das Einsparziel so schnell wie möglich zu erreichen“. Und es folgt der Hinweis, dass aufgrund der fehlenden Einigung mit den Bundesländern die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung nicht implementiert werden konnte. Ja, das ist eine korrekte Zustandsbeschreibung, aber was kann dann getan werden, um das Ziel zu erreichen? Es werden viele begonnenen und (aus Sicht der Berichtsautoren) erfolgreichen Förderprogramme und andere Maßnahmen aufgelistet. Doch der Erfolg eines Förderprogramms muss sich ja noch lange nicht positiv auf die Energieziele niederschlagen, wenn andere Effekte in die Gegenrichtung zeigen.
In der Struktur ähnlich wird der Bericht für den Bereich Verkehr konkret: Die Trendwende im Verkehr ist ein Langzeitprojekt, die Elektromobilität startet langsam, dann werden allerlei EU und bundesdeutsche Maßnahmen für die Verkehrswende aufgelistet. Doch die Aussage „Der Endenergieverbrauch im Verkehr entwickelt sich gegenläufig zu den Zielen des Energiekonzeptes“ bleibt konsequenzlos stehen. Und nun?
Interessant ist auch zu sehen, welche Themen nur ganz oberflächlich gestreift werden, so z.B. die Batteriespeicher. Hierzu ist keinerlei Zahlenmaterial enthalten, nur die Aussage, dass die Energiewende kurz und mittelfristig nicht von Stromspeichern abhängt. Aha.
Zusammenfassend und konkreter zeigt es die Expertenkommission, die das Energiemonitoring begleitet und ergänzend zum Bericht eine 222 Seiten starke Stellungnahme veröffentlicht hat. Die Experten benennen deutlicher, dass Zielverfehlungen zum Teil bereits seit Jahren bekannt sind und welche Maßnahmen, die eine Zieleinhaltung versprochen haben, schlicht in der Praxis versagt haben.
Während der Monitoringbericht zum Beispiel die neuen Mieterstrom-Regelungen als Maßnahme auflistet, betonen die Experten, dass in 2017 nur 2 % der Mittel des Fördertopfes dafür auch wirklich abgeflossen sind. In weiten Teilen Ihrer Ausführungen stehen die Experten hier mit erhobenem Zeigefinger gegen die Bundesregierung.
Sicher, ein Monitoring-Bericht ist kein Konzept für die Umsetzung der Energiewende. Aber einen Ausblick zu konkreteren Maßnahmen hätte sich sicherlich so mancher Leser gewünscht. Die Stellungnahme der Experten ist hierzu weitaus aufschlussreicher.
Den Monitoring-Bericht (in Kurz- und Langfassung) finden Sie hier
Jörg Sutter
Ergänzung: Netto oder Brutto?
Im Monitoringbericht steht unter Erneuerbare Energien im Stromsektor: "Mit 189,7 TWh wurde im Jahr 2016 nur geringfügig mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt als im Vorjahr (2015: 188,8 TWh). Sie konnten jedoch witterungsbedingt, trotz großer Steigerung der installierten Leistung, nicht für einen entsprechenden Zuwachs bei der erzeugten Strommenge sorgen und erreichten einen Anteil von 31,6 Prozent (2015: 31,5 Prozent) am Bruttostromverbrauch. Der Anteil der Erneuerbaren Energien im Stromsektor hat sich seit 2008 mehr als verdoppelt. Auf dem Weg zu einer sicheren, bezahlbaren und umweltverträglichen Energieversorgung hat die Bundesregierung damit schon viel erreicht. So ist der Anteil der Erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch im Jahr 2017 auf 36,2 Prozent gestiegen – der bislang stärkste Anstieg innerhalb eines Jahres. Damit ist das 2020-Ziel (35 Prozent) bereits im Jahr 2017 übertroffen." (Siehe Abbildung 3).
Die Daten stammen von der Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEE-Stat). Die AGEE-Stat ist ein unabhängiges Fachgremium, das vom Bundesumweltministerium im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und dem Bundeslandwirtschaftsministerium, eingerichtet wurde.
Im Gegensatz dazu gibt es die unabhängige Plattform "EnergyCharts", deren Datenbasis die Nettostromerzeugung zur öffentlichen Stromversorgung dargestellt. Diese Zahlen repräsentieren damit den Strommix, der tatsächlich zu Hause aus der Steckdose kommt und der im Haushalt verbraucht wird bzw. mit dem auch Elektrofahrzeuge öffentlich geladen werden. Auch an der deutschen Strombörse EEX wird ausschließlich die Nettostromerzeugung gehandelt und bei den grenzüberschreitenden Stromflüssen werden auch nur Nettozahlen gemessen. Die Bruttostromerzeugung beinhaltet hingegen auch die elektrischen Verluste der Kraftwerke, die direkt im Kraftwerk verbraucht und somit gar nicht in das öffentliche Stromnetz eingespeist werden. Auf der Verbrauchsseite werden die elektrischen Verluste der Kraftwerke auch dem Bruttostromverbrauch zugerechnet, damit die Bilanz wieder stimmt.
Die Daten zur öffentlichen Nettostromerzeugung und zur gesamten Bruttostromerzeugung unterscheiden sich deutlich. Dadurch ergeben sich auch deutlich unterschiedliche Anteile der Erneuerbaren Energien:
Konkret in dem Fall würde dann hier stehen:
"Mit 184,91 TWh wurde im Jahr 2016 nur geringfügig mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt als im Vorjahr (2015: 183,73 TWh). Sie konnten jedoch witterungsbedingt, trotz großer Steigerung der installierten Leistung, nicht für einen entsprechenden Zuwachs bei der erzeugten Strommenge sorgen und erreichten einen Anteil von 33,8 Prozent (2015: 33,6 Prozent) an der Nettostromerzeugung. Der Anteil der Erneuerbaren Energien im Stromsektor hat sich seit 2008 mehr als verdoppelt. Auf dem Weg zu einer sicheren, bezahlbaren und umweltverträglichen Energieversorgung hat die Bundesregierung damit schon viel erreicht. So ist der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Nettostromerzeugung im Jahr 2017 auf 38,26 Prozent gestiegen – der bislang stärkste Anstieg innerhalb eines Jahres. Damit ist das 2020-Ziel (35 Prozent) bereits im Jahr 2017 übertroffen." (Siehe Abbildung 4).
Anmerkung: Die Zahlen für Photovoltik und Wind für das Jahr 2017 sind noch vorläufig. Sie stehen erst mit der EEG-Jahresabrechnung Ende Juli endgültig fest.