06.04.2018
Kommt die Atomkraftrückkehr?
Auf der Suche nach einer Begründung: Ein Hessischer Politiker löst wegen fehlender Übertragungstrassen eine Debatte um Atom-Verlängerung aus. Eine Atomrückkehr scheint nun nicht mehr ausgeschlossen? Selbst Grüne machen sich inzwischen Gedanken über noch längere Laufzeiten der Atommeiler (AKW) in Deutschland. Auch wenn Vordere der Ökopartei eine solche Revision des Atomausstiegs strikt ablehnen: Die Debatte könnte neu beginnen. Weil heute schon klar sei, dass die Hochspannungs-Gleichstromleitung (HGÜ) Südlink im Jahr 2022 nicht fertig sei, werde sich bald „die CSU in Bayern hinstellen und erklären: Damit in den Fabriken von BMW und Siemens nicht die Lichter ausgehen, müssen wir die Atomkraftwerke länger laufen lassen“. So zitierten dieser Tage mehrere Zeitungen den hessischen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. Zwar schob der Grüne nach: „Das kann nicht sein!“ Dennoch: Tarek Al-Wazir brachte damit einen Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke erneut ins Gespräch, über den „endgültigen“ Ausstiegstermin 2022 hinaus. Wenn also selbst die Grünen über einen möglichen Wieder-Wieder-Wieder-…-Wiedereinstieg philosophieren, ist zu vermuten: Die ganze hiesige Politik ist mit einem solchen Szenario zumindest befasst.Bisher hatten sich hauptsächlich AfD-Politiker für das Nichtabschalten der AKW ausgesprochen. Begründet hatten sie das nicht wirklich. Aber inzwischen dürfte feststehen: Weder der von Al-Wazir genannte Südlink als auch die in der Bundesnetzplanung ebenfalls ganz oben stehende HGÜ-Leitung (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung) Südostlink wird nicht bis zum Atomende 2022 fertig werden. Deren Bau wurde aber immer im Zusammenhang mit dem Abschalten der AKW begründet. Und vor allem für solche Trassen hat der Bundestag extra das NABEG, das Netzausbaubeschleunigungsgesetz beschlossen.Dennoch: Ob diese beiden und andere geplante Höchstspannungsleitungen überhaupt kommen, steht in den Sternen. Denn längst haben sich längs entlang der geplanten Trassen deren Gegner organisiert. Mit Gegengutachten oder Einwendungen versuchen sie, die Pläne zu stoppen. Im Gegenzug hat der vom Bund finanzierte „Bürgerdialog Stromnetz“ auf Detail-Fragen aus der Bevölkerung meist nur Standardantworten parat.
Die meisten Trassengegner wünschen sich möglichst dezentrale, natürliche Stromerzeugung an den Verbrauchsorten. Dass dies sogar schneller und gesamtwirtschaftlich kostengünstiger zu realisieren wäre – in Wäldern oder auf Dächern beispielsweise – beweist nicht nur eine vor wenigen Tagen veröffentlichte neue Studie des Freiburger Fraunhofer-Institut ISE. Gleichzeitig lehnen die meisten „Antis“ nicht nur neue Leitungen ab, sondern genauso die Atomkraft. Auch hier stehen sie nicht allein: Laut Statista sind 2018 76 Prozent der Befragten „eher“ bis „voll und ganz gegen den Gebrauch von Atomenergie“ – und nur fünf Prozent „ganz und gar dafür“. Doch was macht die „große“ Politik? „Deutschland blockiert neue Regelungen für Solarstrom-Eigenerzeuger in der EU“, kritisiert Greenpeace Energy die Bundesregierung.
Die setzt offenbar nicht auf Erneuerbare, sondern auf Altes. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU) beharrt beispielsweise auf CO2-Belastetem. Am 27. März habe er „ein Bekenntnis zur Kohle abgegeben. Einen raschen Ausstieg für die Stromgewinnung aus Braun- und Steinkohle stellte der CDU-Politiker nicht in Aussicht. Stattdessen sagte Altmaier, dass es Kohle "noch über viele Jahre" geben werde“, berichtet der Westdeutsche Rundfunk.
Wird in Bayern etwa gar über eine Atomlaufzeitverlängerung wegen fehlender Leitungen nachgedacht? Das CSU-geführte Bayerische Wirtschaftsministerium antwortet auf unsere Anfrage zwar grundsätzlich: „Der Ausstieg aus der Kernenergie ist endgültig.“ Doch sei, um eine „sichere Versorgung aller Verbraucher zu gewährleisten, der Erhalt sowie der Neubau von zuverlässig zur Verfügung stehenden konventionellen Kraftwerken notwendig, die außerhalb des Strommarktes zum Einsatz kommen, falls die bestehenden Leitungen nicht in der Lage sind, die Nachfrage zu decken“, schreibt ein Ministeriumssprecher weiter.
Aus der Staatsregierung also kein Wort von politisch gewolltem Ausbau dezentraler Stromgewinnung durch Photovoltaik und Windkraft auch in Bayern, von Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung, dazu großen Biogas- oder „Power-to-Gas“-Speichern zur Überbrückung von Witterungsflauten.
Ludwig Hartmann, Grünen-Fraktionschef im Bayerischen Landtag, schreibt auf unsere Nachfrage: „Es ist gut vorstellbar – und da stimmen wir mit Tarek Al-Wazir überein -, dass die CSU bzw. interessierte Kreise eine Laufzeitverlängerungsdebatte vom Zaun brechen werden, mit dem Tenor "steigende Strompreise wegen Redispatch und Reservekraftwerkskosten einerseits oder Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke andererseits.“ Doch mit schnellerem Kohleausstieg „und natürlich durch einen rascheren Ausbau der Erneuerbaren Energien in Bayern“, kämen „die Gaskraftwerke in Irsching wieder im Rahmen des normalen Strommarkts zum Zug. Beides wird aber momentan von der CSU nicht unterstützt.“
Hartmann gibt zudem „die wesentliche Verantwortlichkeit für diese mögliche Situation ab 2022 dem ehemaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, der die Netzausbauplanung mit seinem vorübergehenden Veto um gut drei Jahre zurückgeworfen hat“.
Doch noch einmal zurück zu Al-Wazirs heftiger CSU-Kritik. Immerhin haben die Bayern-Grünen nicht ausgeschlossen, ab Herbst zusammen mit genau jener CSU den weißblauen Freistaat zu regieren. Ludwig Hartmann versichert: „Im Hinblick auf die mögliche Regierungsbeteiligung der Grünen sehen wir nicht den geringsten Grund für eine Laufzeitverlängerungsdebatte. Wir würden uns möglichen Äußerungen der CSU selbstverständlich entgegenstellen.“ Außerdem, so der Fraktionsvorsitzende weiter, „würde die Frage einer Laufzeitverlängerung nicht in Bayern entschieden“. PS: Beim Deutschen Atomforum (DAF) ist Tarek Al-Wazirs „Aussage sowie der etwaige Kontext nicht bekannt“, so DAF-Pressereferent Viktor Frank.
Ergänzung: (EWS) Das EU-Parlament will Verbesserungen für die bürgereigene Erzeugung und Vor-Ort-Vermarktung von Ökostrom schaffen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) lehnt diesen Vorschlag ab. Das Bündnis Bürgerenergie (BBEn), dem auch die EWS angehören, hat nun eine Petition gestartet. Ziel der Petition ist, das BMWi zum Einlenken zu bewegen und damit den Weg für eine klimaneutrale, erneuerbare Energieversorgung in Bürgerhand freizumachen. Die DGS unterstützt diesee Initiative ausdrücklich.