02.03.2018
Wir, Dobrinth und die arktische Erwärmung
Das Dieseldrama beschäftigt die Gazetten und die Menschen. Das ist natürlich berechtigt, schließlich geht es um die Gesundheit vieler, vor allen um die, der in den Städten wohnenden Bevölkerung. Aber die Geschichte ist in gewisser Weise absurd, da in der ganzen Diskussion um Lösungen selten zum Kern vorgedrungen wird. Das sieht man an den bisweilen hysterischen Reaktionen und Lösungsvorschlägen. Dort geht es schlichtweg darum, nichts Grundsätzliches zu ändern und lediglich Nachjustierungen oder das Ersetzen eines CO2-Emittenten (Diesel) durch einen anderen (Benzin, Erdgas) zu denken. Auch ist es bezeichnend, dass man sich die meiste Zeit damit beschäftigt, den Schuldigen zu suchen. Ob das nun die Automobilindustrie ist, die sicherlich sehr viel Schuld trägt, oder die Regierungen oder Kommunen, die Bremser einer Mobilitätswende sind, ist möglicherweise gar nicht so wichtig. Denn letztendlich muss sich jeder an die eigene Nase fassen und mal darüber nachdenken, warum er in seinem fossil betriebenen, tonnenschweren Fahrzeug sitzt, um von A nach B zu kommen. Denn fahren und Fahrzeuge kaufen, das machen wir schon noch selbst. Wer argumentiert, von der Autolobby betrogen worden zu sein und behauptet, er war im festen Glauben sein Dieselauto wäre ein ökologisch vertretbares Fortbewegungsmittel, der muss sich letztendlich vorwerfen lassen, es nicht so genau gewusst haben zu wollen. Die eigenen Fehler bei anderen zu finden ist im Übrigen ein bekanntes Phänomen. Gerne bemängelt man bei anderen meist genau die Dinge, die man selbst falsch macht, schlichtweg weil es einen selbst beschäftigt als Projektion (siehe Exkurs: Psychologische Projektion).
Aber um das alles geht es in diesem Text eigentlich gar nicht, sondern um Berichte, wie sie leider in unserer Medienlandschaft nur selten zu finden sind. Der massive Ausstoß klimaschädlicher Gase durch den Verkehrssektor (Diesel, Benzin oder Erdgas) führt zu Problemen, die viele von uns so gar nicht auf dem Schirm haben. Vielleicht wäre es besser, sich aufgrund der Lage schleunigst von seinem Mobilitätsverhalten zu verabschieden. Anbei vier wichtige Berichte der vergangenen Tage aus der englischsprachigen Welt, die verdeutlichen, was das Zögern und Lavieren im Klimaschutz letztendlich bedeutet bzw. bedeuten kann. Wir haben diese für Sie ein klein wenig übersetzt:
1. Arctic Warming: Scientists alarmed by 'crazy' temperature rises (Link)
In dem im englischen Guardian erschienen Artikel von Jonathan Watts geht es darum, dass die in der Arktis gemessene Rekordwärme viele Wissenschaftler beunruhigt. Experten warnen bereits davor, dass das Erwärmungsereignis beispiellos sei. Die alarmierende Hitzewelle in der zu der Jahreszeit sonnenlosen Arktis sei auch ursächlich für Schneestürme in Europa verantwortlich. Selbst wenn es ein Extremereignis ist, besteht die Hauptsorge der Wissenschaftler darin, dass die globale Erwärmung den Polarwirbel (also der Wettermaschine der Nordhalbkugel) erodiert. Denn obwohl der Nordpol bis März kein Sonnenlicht abbekommt, ließ ein Zustrom warmer Luft die Temperaturen in Sibirien um bis zu 35 Grad über dem historischen Durchschnitt nach oben treiben.
Temperaturspitzen gehören zum normalen Wettergeschehen - das Ungewöhnliche an diesem Ereignis ist, dass es so lange andauert und so warm ist", sagt Ruth Mottram vom Dänischen Meteorologischen Institut. "Bis zurück in die späten 1950er Jahre haben wir in der hohen Arktis noch nie so hohe Temperaturen gesehen."
An der nördlichsten Landwetterstation der Welt - Cape Morris Jesup an der Nordspitze Grönlands - waren die Temperaturen in jüngster Zeit zeitweise wärmer als in London und Zürich, die Tausende von Kilometern weiter südlich liegen. Obwohl der jüngste Höchststand von 6,1° C am Sonntag nicht ganz rekordverdächtig war, dauerten die Höchststände bei den beiden vorangegangenen Gelegenheiten (2011 und 2017) nur wenige Stunden, bevor sie sich wieder dem historischen Durchschnitt annäherten.
„Das ist eine Anomalie unter den Anomalien. Es ist weit genug außerhalb der historischen Reichweite, dass es beunruhigend ist,“ sagt Michael Mann, Direktor des Earth System Science Center an der Pennsylvania State University. „Die Arktis galt schon immer als Bote der Auswirkungen der vom Menschen verursachten Erwärmung. Obwohl sich die meisten Schlagzeilen der letzten Tage auf die ungewöhnlich kalte Witterung in Europa konzentriert haben, besteht die Sorge, dass dies nicht so sehr eine beruhigende Rückkehr in den Winter ist, sondern eher eine Verschiebung dessen, was weiter nördlich geschehen sollte.
Ursache und Bedeutung dieses starken Aufwärtstrends stehen nun auf dem Prüfstand. Die Temperaturen schwanken in der Arktis häufig aufgrund der Stärke oder Schwäche des Polarwirbels, des Windkreises, einschließlich des Jet-Streams. Er trägt dazu bei, wärmere Luftmassen abzulenken und die Region kühl zu halten. Da dieses natürliche Kraftfeld schwankt, gab es viele frühere Temperaturspitzen, die historische Karten des arktischen Winterwetters einem Elektrokardiogramm ähneln lassen.
2. 'Wacky' weather makes Arctic warmer than parts of Europe (Link)
Alister Doyle schreibt auf Reuters von einer verrückte Erwärmung um den Nordpol, die arktische Kälte über Europa bringt. Ein Wetter, das durch die vom Menschen verursachte globale Erwärmung, häufiger vorkommen könnte. Im gesamten arktischen Raum liegen die Temperaturen nach Berechnungen des Dänischen Meteorologischen Instituts mit -8° C um etwa 20° C über dem Normalwert.
Die Städte von Warschau bis Oslo lagen im gleichen Zeitraum bei Temperaturen deutlich kälter als -8° C. Im Süden wurde Rom am Montag von einem seltenen Schneesturm heimgesucht, und die Verantwortlichen in Brüssel planten, Obdachlose über Nacht festzuhalten, falls sie sich weigern, bei Temperaturen von bis zu -10° C in der kommenden Woche Schutz im Warmen zu suchen.
3. North Pole surges above freezing in the dead of winter, stunning scientists (Link)
Jason Samenow schreibt in der Washington Post über ein außergewöhnliches und möglicherweise historisches Tauwetter. Er berichtet weiter, dass sich durch die erhöhten Temperaturen ein gewaltiger, intensiver Wärmepuls durch die Grönlandsee gepumpt habe. Solche extrem warme Einbrüche in die Arktis, die früher selten waren, werden laut Samenow, immer mehr zur Regel. Schließlich hatte eine im vergangenen Juli veröffentlichte Studie ergeben, dass diese Ereignisse seit 1980 häufiger, länger andauernd und intensiver werden.
Robert Graham, der Hauptautor dieser Studie, schrieb erst kürzlich in einer E-Mail: „Früher war das nicht üblich, es geschah in vier Jahren zwischen 1980 und 2010, aber es ist jetzt in vier der letzten fünf Winter passiert." Graham erklärt, dass diese Erwärmungsereignisse mit dem Rückgang des winterlichen Meereises in der Arktis zusammenhängen, wobei er feststellte, dass die Eisausdehnung im Januar die niedrigste in der Geschichte war. „Da das Meereis schmilzt und dünner wird, wird es anfälliger für diese Winterstürme. Das dünnere Eis driftet schneller ab und kann sich in kleinere Stücke auflösen. Die starken Winde aus dem Süden können das Eis weiter nördlich in die Arktis drängen, wodurch das offene Wasser freigelegt wird und Wärme aus dem Ozean an die Atmosphäre abgegeben wird".
Kent Moore, Professor für Atmosphärenphysik an der University von Toronto, der 2016 eine Studie veröffentlichte, die den Verlust von Meereis mit diesen warmen Ereignissen in der Arktis in Verbindung bringt, stellte fest, dass eine Reihe von Faktoren zur jüngsten Erwärmungsepisode beigetragen haben könnten. So haben die jüngsten Stürme mehr in Richtung Nordpol durch die Grönlandsee geblasen und die Wärme direkt aus den niedrigeren Breitengraden nach Norden geholt, als über eine umständlichere Route über die Barentssee. Er sagte auch, dass die Meerestemperaturen in der Grönlandsee wärmer als normal sind. „Die Wärme, die wir in der Grönlandsee finden, verstärkt definitiv die warmen Ereignisse, die wir sehen", sagte Moore. "Ich bin überrascht, wie warm es ist, aber ich weiß nicht, warum."
4. The North Pole just had an extreme heat wave for the 3rd winter in a row (Link)
Umair Irfan schreibt auf Vox, dass gelegentliche, schnelle Temperaturspitzen zwar ein häufiges Wetterphänomen, auch in der Arktis, seien. Jedoch ist in der zunehmenden Häufigkeit, verbunden mit steigenden Gesamttemperaturen, ein starkes Signal dafür zu sehen ist, wie sich das Klima in rasantem Tempo verändert. Und vor allem deutlich schneller, als noch vor wenigen Jahren prognostiziert. Die unmittelbare Ursache dafür sei klar, so Mark Serreze, Direktor des National Snow and Ice Data Center an der University of Colorado Boulder: „Ein Jet-Stream-Muster, das all diese warme Hochdruckluft in die Arktis lässt. Der Jet-Stream, eine große Höhe und eine schnelle Luftströmung wiederum helfen, die Winde näher an die Oberfläche zu treiben, die auch warme Luft in die Polargebiete bringen.“
Temperaturen, die über den Gefrierpunkt in der Arktis steigen, sind eine entscheidende Schwelle. Das ist der Punkt, an dem sich alles ändert", sagt Marco Tedesco, Geophysiker am Lamont-Doherty Earth Observatory. "Das ist extrem außergewöhnlich." Diese höheren Temperaturen verändern die Art und Weise, wie sich Eis bildet, was zu dünneren, weniger dichten Platten führt. Wetterbedingungen oberhalb des Schmelzpunktes des Eises verändern auch die Art und Weise, wie sich Schnee ansammelt, was zu hitzeempfindlicheren „Schneepaketen“ führt. Dünneres Eis und leichterer Schnee haben dann Auswirkungen auf das arktische Wettersystem als Ganzes, da Wärme leichter vom Himmel zum Meer und umgekehrt fließen kann. Die Wissenschaftler versuchen immer noch zu verstehen, wie dies in der ganzen Welt widerhallt, aber sie sehen bereits starke Wellen, die Teile der Küste Alaskas zertrümmert und die Küstenlinie erodiert. Gewöhnlich wird dies durch die Eisbedeckung gemildert.
Tauwetter am Nordpol, Eiszeit bei uns – was ist da los?
Das Ganze gibt es jetzt auch auf Deutsch: Die Kältewelle in Europa im Licht neuer Forschungsergebnisse. In den letzten Tagen macht eine extreme Wärmeanomalie in der Arktis Schlagzeilen von Europa über die USA bis in Australien. Trotz Polarnacht wurden am Nordpol Temperaturen am oder sogar über dem Gefrierpunkt erreicht. Gleichzeitig herrscht im Norden Eurasiens kräftiger Frost. Warum mehr als nur der Wetterzufall dahinter steckt: Beitrag von Stefan Rahmstorf bei der KlimaLounge
And Now for Something Completely (?) Different
Noch ein letzter interessanter Text, der sich mit einem anderen Aspekt beschäftigt, ist der bei Carbon Brief erschienene Artikel „Mangrove deforestation emits as much CO2 as Myanmar each year“ von Robert McSweeney. Er beschäftigt sich mit der Abholzung der Mangrovenwälder. Sie speichern, wie neue Forschungsergebnisse zeigen, mehr als 4 Mrd. Tonnen Kohlenstoff. Jedoch hat die Entwaldung - oft um der Fischzucht Platz zu machen - dazu geführt, dass die globale Fläche der Mangroven zwischen 2000 und 2012 um 2% zurückgegangen ist. Die Menge an Kohlenstoff, die durch die Rodung von Mangroven freigesetzt wird, beläuft sich auf 24 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr, was den jährlichen Emissionen Myanmars entspricht.
Mangrovenwälder, so McSweeney weiter, sind einer der weltweit wichtigsten Speicher für "blauen Kohlenstoff", ein Begriff für Kohlenstoff, der sich in Küsten- oder Meeresökosystemen anreichert. Pro Flächeneinheit können Mangroven bis zu viermal so viel Kohlenstoff speichern wie landgestützte Wälder. Das liegt zum Teil an ihrer Gezeitenumgebung, in der sich die Bäume zwischen ihren Wurzeln ablagern, wenn die Flut steigt und fällt.
Aber, wie bei vielen Wäldern auf der ganzen Welt, sind auch Mangroven von der Abholzung bedroht. Durch die erhebliche Kohlenstoffspeicherung verursacht die Abholzung von Mangroven erhebliche Klimakosten. In Indonesien beispielsweise deuten jüngste Schätzungen darauf hin, dass ein Stopp der Abholzung von Mangrovenwäldern die Landnutzungsemissionen des Landes um 10 bis 31% reduzieren würde.
Matthias Hüttmann
Exkurs I: Psychologische Projektion
Wenn wir anderen Menschen Eigenschaften, Schwächen oder Probleme zuschreiben, die wir selbst offen oder versteckt in uns tragen, dann nennt man das in der Psychologie Projektion. Beispiel: Man wirft jemandem vor, dass er egoistisch ist, obwohl man das eigentlich selbst ist. In der Projektion übertragen wir unsere eigenen Themen, Ängste oder Sorgen auf andere Menschen. Das Dumme: Wir merken das im Normalfall nicht einmal. In der Umgangssprache gibt es dazu einen guten Spruch „von sich auf andere schließen“. Schließlich kommt es soweit, dass wer es selbst nicht so genau mit der Wahrheit nimmt, anderen oft unterstellt, dass sie nicht die Wahrheit sagen. Wenn wir uns über andere aufregen, sehen wir also in erster Linie uns selbst und unsere Eigenschaften, unsere Ziele und vor allem unsere Werte. Was wir in der Welt da draußen sehen, wahrnehmen, bemerken, sagt normalerweise mehr über uns selbst aus, als über die Welt selbst. Das zu akzeptieren erfordert einen gewissen Mut, denn das Leben wird dadurch um einiges komplizierter. Oftmals haben Menschen auch Angst vor den falschen Gefahren, aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Exkurs II: Graue Energie
Die Herstellung eines Autos verbraucht erhebliche Mengen an Rohstoffen, Wasser und Energie. Allein der gemittelte Energiebedarf der PKW-Produktion von 30.000 kWh entspricht in etwa dem Strombedarf eines Durchschnittshaushalts für 10 Jahre. Alle Verbrauchsgegenstände laden sich durch ihre Produktion, bildlich gesprochen, einen CO2-Rucksack auf. Zur Verdeutlichung dient oft die energetische Amortisationszeit. Noch nicht so häufig wird der CO2-Rucksack bilanziert. Konzentrieren wir uns zu sehr auf den Ausstoß von Treibgasen, kann es passieren, dass wir die CO2-Gesamtbilanz des Produktes PKW aus den Augen verlieren. Nicht immer ist das neueste, sparsamste Modell die beste Wahl und die genügsame Nutzung eines vorhandenen Produkts der bessere Weg. Kurzum, die Neuanschaffung eines Fahrzeugs sollte nicht erfolgen, bevor der alte CO2-Rucksack nicht geleert wurde. Und eine Substitution eines großen CO2-Emittenten durch einen anderen ist auch keine Lösung. Dobrinth sei’s gepfiffen und getrommelt.