01.12.2017
Die DGS-Sprachprüfsteine, Folge III: Prof. Dr. Volker Quaschning
Wir sind mit unseren tradierten Begriffen, mit denen wir seit mehr als vier Jahrzehnten unterwegs sind, inzwischen unzufrieden. Deshalb hat die DGS die Initiative Sprachprüfsteine gestartet. Denn wir meinen, die Solargemeinde und die Bürgerenergiebewegung brauchen wieder eine unverwechselbare sprachliche Identität. Darüber wollen wir eine breite Diskussion anstoßen,die zum Gebrauch klarer Begrifflichkeiten führen soll.
Teil 3: Prof. Dr. Volker Quaschning, HTW Berlin:
Solidarität, Argumente und Fakten sind wichtiger als sprachliche Identität:
Die Solarbranche und Bürgerenergie sind auf der Suche nach einer neuen sprachlichen Identität. Sie soll helfen, das Thema Energiewende und Klimaschutz wiederzubeleben. Neu ist der Versuch nicht, die Deutungshoheit über die Sprache zu erhalten. Auch Kernkraftgegner haben in den 1980'er Jahren diesen Versuch unternommen, indem sie sich hinter dem Begriff Atomkraft versammelten. Ab dato war die Atomkraft böse. Befürworter der riskanten Technologie verwendeten seitdem das Wort Kernkraft. Dabei hatte es in der Gründerzeit der Atomkraft auch einen Atomminister gegeben und die Lobbyorganisation der radioaktiven Stromerzeugung heißt Deutsches Atomforum. Das Schöne an Sprache ist, dass sie lebt. Beim Atomausstieg oder wie andere sagen würden, beim Ausstieg aus der Kernenergie hat die Deutungshoheit bei der Sprache allerdings wenig geholfen. Letztendlich war es das Atom- oder Kernreaktorunglück in Fukushima, dass der Technologie in Deutschland den Garaus gemacht hat. Wichtig war dabei aber sicher auch der jahrzehntelange Kampf gegen die Atomenergie, also die Taten der Anti-Atomkraftbewegung.
Eine sprachliche Identität hilft, Menschen mit gleichen Ansichten und Werteanschauungen zu vereinen. So mochte die Kanzlerin bei den gescheiterten Jamaika-Sondierungsgesprächen auch nicht von einem Kohleausstieg reden, da dies Grünensprech sei. Da CDU und Grüne sich angeblich in letzter Zeit deutlich nähergekommen sind, bleibt abzuwarten, ob Angela Merkel auch künftig diesen Begriff meidet. Am Ende ist es aber egal, wie man das Kind nennt. Hauptsache, die Kohlendioxidschleudern hören bald auf, das Klima zu ruinieren. Aber auch das wird für den Klimaschutz nicht ausreichen. Und hier zeigt sich das Dilemma, um das auch die Grünen bei einem Kohle(teil)ausstieg nicht herumgekommen wären. Egal wie die Sondierungsgespräche ausgegangen wären: Die Ergebnisse hätten nicht einmal ansatzweise ausgereicht, um den Pariser Klimaschutzbeschlüssen mit einer Stabilisierung der weltweiten Durchschnitttemperatur möglichst auf 1,5°C gerecht zu werden.
Es ist nicht die Sprache, die einen Erfolg des Klimaschutzes behindert, sondern eine postfaktische Politik und ein Verdrängen des Problems. So findet man im FDP- Wahlprogramm den Satz: „Grundlage unseres Handels ist … das Pariser Klimaschutzabkommen.“ Wer solche Sätze schreibt, sollte sich auch über die Bedeutung klar sein. Das Kohlendioxidbudget, das wir für das Einhalten des 1,5-Grad-Ziels noch emittieren dürfen, wird voraussichtlich schon in den 2030er-Jahren erschöpft sein. Spätestens dann muss unsere Energieversorgung vollständig kohlendioxidneutral zu 100% auf erneuerbaren Energien basieren. Wirksame Maßnahmen dazu hat die FDP bislang nicht wirklich erkennen lassen. Selbst die Grünen hadern mit echtem Klimaschutz. Im Wahlkampf forderten sie eine Kohlendioxidneutralität bis 2050 – zu spät für das 1,5-Grad-Ziel. So bleiben die Klimaschutzbekenntnisse aller Parteien am Ende nur schöne Worte.
Auch die Solarbranche tut sich mit der dem Pariser Klimaschutzabkommen schwer. Ohne einen jährlichen Photovoltaikzubau deutlich oberhalb von 10 Gigawatt dürfte eine Kohlendioxidneutralität in den 2030'er-Jahren kaum erreichbar sein. Nur wenige trauen sich, die entsprechenden Zahlen zu kommunizieren. Auch Verbände wie der BSW stapeln in dieser Frage immer noch tief. Und die Vertreter der Solarthermie hetzen gegen die Photovoltaik, weil sie im Winter nicht genügend Strom für Wärmepumpen liefern könne, setzten aber als Backup selbst auf fossiles Erdgas. Die Windbranche schaute vor einigen Jahren erstaunt zu, als die Solar- und Biogasbranche in Deutschland zerlegt wurde und war froh, nicht selbst betroffen zu sein. Nun geht es der Windbranche an den Kragen und die Vertreter der Solarbranche freuen sich, dass wir nach 1,5 Gigawatt im letzten Jahr auf die 2 Gigawatt zusteuern und damit einen größeren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Willkommen im postfaktischen Zeitalter. Ob wir null oder 2 Gigawatt Photovoltaik pro Jahr in Deutschland bauen, ist für den Klimaschutz ziemlich egal. Beides wird zu einer globalen Erwärmung von mehr als 3°C führen und damit den Temperaturanstieg seit der letzten Eiszeit verdoppeln.
Wenn wir das Bekenntnis zum Klimaschutz wirklich ernst meinen, brauchen wir 100% erneuerbare Energien in den nächsten 20 Jahren, 15 Gigawatt PV-Zubau und über 6 Gigawatt Onshore-Windkraft pro Jahr. Wir brauchen sehr schnell große Speicherkapazitäten, ein Aus für den Verbrennungsmotor spätestens 2025 und einen Abschied von der Öl- und Gasheizung spätestens 2020. Wir müssen auch unseren Lebensstil und unsere Ernährungsgewohnheiten überdenken. Das alles wird unsere Gesellschaft radikal verändern. Und es wird für einige richtig unbequem. Wie oft habe ich in den letzten Monaten gehört, das sei zwar richtig aber nicht vermittelbar.
Wir dürfen nicht länger lamentieren und uns hinter schönen Worten verstecken, wir brauchen endlich echte Taten. Wir brauchen Solidarität innerhalb der gesamten erneuerbaren Energiebranche und mit den Opfern des Klimawandels. Über 500.000 Menschen sind in den letzten 20 Jahren durch klimabedingte Ereignisse wie Unwetter gestorben, die Schäden betrugen rund 3 Billionen Euro. Durch unser zaghaftes Handeln klebt Blut an unseren Händen. Vielleicht sind diese Zahlen auch schwer vermittelbar, aber sie sind traurige Realität.
Wir brauchen keine sprachliche Identität, sondern ein Bekenntnis zu den Fakten. Wir müssen alle öffentlich bloßstellen, die zwar vom Klimaschutz reden, aber nicht einmal ansatzweise das Nötige dafür tun – auch wenn diese BSW oder Bündnis 90/die Grünen heißen. Wir sind Hunderttausende, die sich in Deutschland für die Energiewende und erfolgreichen Klimaschutz einsetzen und haben es bislang noch nicht einmal geschafft, dass sich alle ohne Wenn und Aber zu den nötigen Maßnahmen für einen erfolgreichen Klimaschutz bekennen. Solange uns das nicht gelingt, ist eine neue sprachliche Identität ganz nett. Das Klima retten, wird sie sicher nicht.
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