01.02.2019
Neue Modelle für die alte Energiewirtschaft
Am 30. und 31. Januar 2019 fand in Berlin die vom Veranstalter Conexio GmbH durchgeführte Tagung „Zukünftige Stromnetze“ statt. Eine Veranstaltung mit Tradition, zu der schon der Vorläufer, OTTI aus Regensburg, vier Jahre Experten aus Politik, Wirtschaft und Forschung geladen hatte. Ursprünglich ging es darum, die alte Energiewelt mit ihren Netzfachleuten mit den netzunkundigen Vertretern der Erneuerbaren Energien zusammenzubringen. Damals lautete der Titel auch noch „Zukünftige Stromnetze für Erneuerbare Energien“. Nicht nur der Name hat sich geändert, auch die Kräfteverhältnisse. Der Unterschied zu früheren Jahren besteht darin, dass es zwei große Richtungen gibt, die sich in Sachen Netzstrukturen und Netzpolitik wenig kooperativ gegenüberstehen. Zum einen die Exponenten aus der alten Welt der Energiekonzerne und der Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber, deren Bemühen darauf gerichtet ist, die Erneuerbaren aus Wind und Sonne in das bestehende Stromsystem so zu integrieren, dass die Machtverhältnisse nicht angetastet werden. Die andere Seite, die in den letzten 18 Jahren gewachsene Bürgerenergie, sucht nach neuen Wegen in Richtung eines dezentralen Systems mit neuen Netzstrukturen. Vor allem mit den Vorstellungen eines zellularen Systems stehen sie noch ziemlich am Anfang ihrer Überlegungen.
Schon beim Studium des Programms wurde deutlich, dass die erste Fraktion, angeführt und inspiriert von den Konzepten aus den Denkschulen der großen Energiekonzerne, längst tonangebend ist. Ihre Thesen basieren darauf, dass eine Entwicklung von Sonne- und Windstrom nur noch in Abhängigkeit von der bestehenden Netzstruktur möglich sei. Die darauf basierenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, die zwischenzeitlich massiv Eingang in das 7. Energieforschungsprogramm (und davor auch schon im 6. Energieforschungsprogramm) der Bundesregierung gefunden haben, zielen darauf ab, die vorhandene Netze so zu verändern und zu entwickeln, dass sie aktiv steuerbar und automatisiert werden können.
Die Schwerpunkte der F&E Tätigkeiten liegen im Gegensatz zu früheren Entwicklungsphasen der Erneuerbaren Energien jetzt nicht mehr darin, die sogenannte Lernkurve bei PV und Wind zu pushen, sondern modernste Leistungselektronik so zu optimieren, dass der Fluktuationsausgleich über das Netz zu einem neuen Geschäftsmodell der alten Energiewirtschaft werden kann. Die Tagung führe Akteure aus der Wirtschaft, Forschung und Politik zusammen, die „spannende Lösungsansätze für die Abstimmung von Netzausbau und intelligenter Betriebsführung diskutieren“, so Prof. Christof Witwer vom Fraunhofer ISE in Freiburg, der Mitglied des Tagungsbeirates ist. Vergessen hatte er allerdings, dass die Vertreter der Bürgerenergie kaum vertreten waren.
Auch die Bundesregierung unterstütze diesen Kurs des Netzumbaus, sagte Gerlind Heckmann vom Bundeswirtschaftsministerium in ihrem politischen Grußwort. Vor allem mit dem Energiesammelgesetz und dem Netzausbaugesetz, das unter anderem schlankere Planungsverfahren vorsieht, sei in jüngster Zeit eine gute Grundlage geschaffen worden. Dennoch könne man durch Digitalisierung und Automatisierung auch im Verteilnetz den Ausbaubedarf senken. Die Frage, wie eine effizientere Netznutzung möglich gemacht werden könne, wird dabei durchaus kontrovers diskutiert. Prof. Rik W. De Doncker von der RWTH Aachen sprach sich für die Umrüstung vom AC- auf ein DC-Netz aus. So ließen sich die Übertragungskapazitäten verdoppeln. Als Übergangslösung könne man die beiden Netzarten enger aneinander koppeln. Dazu gab es sowohl elektrotechnische wie ökonomische Gegenpositionen, die bezweifelten, dass Netzbetreiber komplett auf Gleichstrom umstellen würden. Andreas Ulbig von Adaptricity sieht dagegen sinkenden Kosten für Datenverarbeitung als Treiber der Digitalisierung. Die Infrastruktur durch Big Data besser zu verstehen könne dazu beitragen, eine latente Überdimensionierung der Netze zu vermeiden.
Leider waren die Verfechter eines Umbaus in Richtung eines dezentralen und zellularen Systems nicht vertreten. Wie überhaupt Bürgerenergie und die Frage der Betreibervielfalt weder im Programm noch bei einzelnen Referenten eine Rolle spielte. Dezentrale Bestandteile der Netzwelt fanden nur insofern Erwähnung, als sie Flexibilität beisteuern könnten, mit denen neue Geschäftsmodelle, die den Fluktuationsausgleich als Dienstleistung lukrativ machen wollen, besser funktionieren würden.
Deutlich wurde im Laufe der Veranstaltung, dass sich die Situation in den Netzen sehr schnell verändert und dieser Prozess künftig noch beschleunigt werden wird. Bedauerlich war, dass die Veranstaltung das Thema Zukunft der Netze nur aus der Sicht und Interessenlage der großen Energiekonzerne und der sie umgebenden Stadtwerke beleuchtet hat. Welche Rolle zukünftig der Bürgerenergie, die immerhin noch rund die Hälfte der Solar- und Windanlagen betreibt, zukommt und wie man sich eine friedliche Koexistenz zwischen beiden vorstellen könnte, blieb außen vor.
Klaus Oberzig