18.03.2022
Der lange Weg zur digitalen Energiewirtschaft
Ein Bericht von Heinz Wraneschitz
„Digitalisierung kann jede fünfte Tonne CO2 einsparen“: Das hat sich der deutsche Digitalindustrieverband Bitkom vor genau einem Jahr vom international tätigen Consultant Accenture ausrechnen lassen. Nun hat Bitkom nachgelegt und die Bevölkerung befragen lassen, wie sie zur „Digitalisierung der Energiewende“ steht.
Dabei stimmten 691 der 1002 repräsentativ Befragten der Aussage „Digitale Stromnetze sind die Grundlage der Energiewende“ entweder „voll und ganz zu“ oder „eher zu“. Noch mehr, nämlich 720 von 1002 waren der Meinung: „Die Energiewende wird ohne digitale Technologien nicht zu bewältigen sein.“ Gleichzeitig machen sich aber auch fast genauso viele der Befragten „Sorgen, dass Hacker ein digitalisiertes Stromnetz lahmlegen können“.
Vielleicht ahnten sie in dem Moment schon den Hackerangriff auf mehrtausend Windräder. Denn die Umfrage entstand laut Bitkom-Präsidiumsmitglied Matthias Hartmann „vor dem Kriegsausbruch“, also dem vom autokratischen Präsidenten Putin befohlenen Überfall russischer Truppen auf die Ukraine – nicht während der erzwungenen deutschen Windrad-Flaute.
Aber was genau sind digitale Stromnetze? „Digitale Stromnetze nutzen die zur Verfügung stehenden physischen Netzkapazitäten auf der Grundlage von Daten optimal aus (Netzführung, Redispatch) und verknüpfen Erzeugung, Verbrauch und Speicher zu einem stabilen und flexiblen Gesamtsystem“, antwortet auf unsere Nachfrage der Bitkom-Energiereferent Sebastian Schaule.
Klingt gut, ist aber bislang eher Zukunftsmusik. Denn wenn Schaule weiter ausführt, „in intelligenten Stromnetzen können Stromerzeugung und -verbrauch präzise gesteuert werden. Daten und Elektrizität fließen in Smart Grids nicht nur vom Erzeuger zum Nutzer, sondern auch wieder zurück. So können Netzlasten besser gesteuert werden“, dann hat das mit der Realität in Deutschland sehr wenig zu tun.
Denn bei Bitkom weiß man auch: „Smart Meter sind ein integraler Bestandteil des Smart Grids. Smart Metering ist aus Sicht des Bitkom sowohl den Kundinnen und Kunden hilfreich, da sie zeitgenau Transparenz über ihre Energieverbräuche erhalten und variable Stromtarife nutzen können, als auch der Netzstabilität von Stromnetzen und damit der Energiewende insgesamt.“ Aber die Smart Meter, die heute in vielen Zählerkästen deutscher Haushalte hängen, haben zwar einige Messmöglichkeiten. Aber „variable Stromtarife nutzen“? „Erste Anbieter bieten bereits variable Stromtarife auf Smart-Meter-Basis an“, heißt es von Bitkom. Doch laut dem Verbraucherportal Finanztip, Stand Februar 2022, sind das gerade mal fünf Firmen. Und nur drei dieser Angebote sind wirklich dynamisch.
Dennoch: „acht von zehn Deutschen stehen hinter der Energiewende“, die außerdem 71 Prozent der Befragten „viel zu langsam“ oder „eher zu langsam“ geht, so das Ergebnis der Bitkom-Studie. „Ja, wir sind in Deutschland bei der Einführung digitaler Messsysteme weit hintendran“, gibt Hartmann zu. In der Deutschen liebstem Kind, „in jedem neuen Auto ist heute eine Anzeige für den Energieverbrauch. Sie können dort ziemlich genau sagen, was sie verbrauchen. Anders als im Haus. Und schon gar nicht kennen wir den CO2-Ausstoß“, legt der Bitkom-Präsident den Finger in die Wunde. Zumal: Auch wenn die meisten zur Energiewende beitragen wollen – 40 Prozent der Deutschen kennen noch nicht mal ihren eigenen Stromverbrauch.
Matthias Hartmann weiß aber aus seiner eigenen Marktforschungstätigkeit: „Wenn es persönlich wehtut ist das individuelle Verhalten anders.“ Deshalb setzt er darauf, „das Verhalten wird sich dank steigender Kosten verändern“.
Heizkosten machen den Großteil für Endverbraucher aus
Endverbraucher sind dabei besonders durch die Heizkosten betroffen; „das Gebäude trägt 40 Prozent zu den Emissionen bei“, ergänzt Hartmann und erwähnt die EU: „Die sieht verpflichtendes Heizungsmonitoring vor. Das allein spart 12 Prozent Verbrauch ein.“ Auch hier sind andere Länder in Europa wesentlich weiter, weil dort die Installation digitaler Wärmezähler wesentlich weiter fortgeschritten ist. Vielleicht ist es so, weil laut der Bitkom-Studie „nur 28 Prozent mehr für Smart-Home-Systeme zahlen wollen“ (Hartmann) – obwohl die ja die Energiekosten drücken würden. Aber auch, weil die Ampelkoalition wie ihre Vorgängerregierungen bis heute „bei der Aufteilung der Kosten energetischer Sanierung auf Mieter und Vermieter zerstritten“ sei, „haben wir bei den Verbräuchen keine Fortschritte gemacht“.
Was also wünscht sich Bitkom, damit wir aus dem energetischen Neandertal kommen? „Wir brauchen mehr Beratung bei der Einführung neuer Technologien. Wir müssen anonyme Wärmedaten zum Vergleich einsetzen dürfen.“ Und – auch mehr Rechenkapazität sei nötig. Doch deren Energieverbrauch spiele im Vergleich zum gesamtdeutschen eine sehr untergeordnete Rolle: 16 Milliarden Kilowattstunden oder genau 0,6 Prozent des Gesamtenergiebedarfs haben deutsche Rechenzentren und kleinere IT-Installationen 2020 benötigt, so Bitkom.
Spätestens durch den Ukraine-Krieg dürfte allen klar sein: „Energie ist politischer Faktor geworden. Aber ohne den Nutzer wird die Energiewende nicht gelingen“, das ist auch Matthias Hartmann bewusst. Deshalb gelte es, die Verbraucher zu überzeugen – egal ob digital oder analog: „Ein Grad weniger sind sieben Prozent weniger Energie.“