18.01.2019
Gas kommt nicht aus der Steckdose
Das Gasnetz in Deutschland, das üblicherweise kaum beachtet wird, wurde in den vergangenen Monaten zum öffentlichen Diskussionsthema. Politisch weitreichend ist derzeit der Konflikt zu North Stream II als neue Versorgungsleitung von russischem Erdgas sowie den geplanten LNG-Terminals zur Einspeisung von Flüssiggas direkt in das deutsche Gasnetz.
Doch was ist das überhaupt für ein Netz?
In Deutschland sind rund 40.000 km Fern-Gasleitung verlegt, dazu kommen rund 470.000 km Verteilnetze bis zu den Hausanschlüssen. In das Netz integriert sind 280 riesige unterirdische Gasspeicher, die rund ein Viertel (!) des Jahresverbrauches aufnehmen können. Die oft sichtbaren oberirdischen Gasspeicher dienen nur dem Ausgleich von Tagesschwankungen.
Haupterzeuger des wahrscheinlich auch bei Ihnen zu Hause heute verbrauchten Heizgases sind Russland (Gazprom), die Niederlande und Norwegen. Doch hier gibt es Bewegung: Die Niederlande reduziert - unter anderem aufgrund von Erdbeben und Schäden am Gasfeld Groningen - seine Gasförderung in den nächsten Jahren und wird sie 2030 einstellen. Daher versuchen deutsche Unternehmen wie Uniper und Wintershall, sich durch den Bau der umstrittenen Pipeline North Steam II eine größere Transportkapazität aus Russland zu sichern. Um ein Gegengewischt zur Abhängigkeit von Gazprom zu finden, soll an der deutschen Küste ein LNG-Terminal gebaut werden (wir berichteten), das die Entladung von Flüssiggas ermöglichen soll. Solches Flüssiggas wird derzeit verstärkt in den USA per Fracking erzeugt. Doch auch andere Länder produzieren LNG, derzeit ist Katar am Persischen Golf weltweit größter Lieferant. Vorteil des LNG: Es kann per Schiff flexibel transportiert werden und ist nicht auf Pipelines angewiesen. Deutschland hat im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern noch keine Möglichkeit der LNG-Entladung.
Daher erfolgt derzeit der Gasimport ausschließlich an Importstellen von Pipelines, in Frankfurt/Oder und Sayda (südlich von Dresden) sowie in Bayern und Baden-Württemberg und wird dann weiterverteilt. Die Fernnetzbetreiber müssen dabei gemäß § 15 EnWG die Stabilität des Netzes sicherstellen. Sie sind gesetzlich verpflichtet, alle zwei Jahre eine Aktualisierung des Netzentwicklungsplans (NEP) gemeinsam vorzunehmen und darin die nächsten 10 Jahre Netzänderungen aufzulisten. Die Bundesnetzagentur prüft diesen Plan, nach deren Zustimmung ist er verbindlich. Hier wird in deutscher Gründlichkeit vorgegangen, hauptsächlich, um auch nur notwendige Aus- und Umbaumaßnahmen umzusetzen.
Grundlage des NEP ist ein Szenariorahmen, der ebenfalls laufend ergänzt und fortgeschrieben wird. In zwei Szenarien modelliert er mögliche Entwicklungen von Gasimport, Produktion, Transport und Verbrauch. Aus diesen beiden Szenarien ergeben sich die Erweiterungsbedarfe für das Gasnetz und der NEP. Interessant: Beide Szenarien stützen sich voll auf die europäischen Energie- und Klimaziele für 2030, einmal in der vollständigen Erfüllung, einmal sogar in der Übererfüllung mit 40 % Rückgang des Primärenergieverbrauchs. Dem Gas wird auch im Endenergieverbrauch daher ein stark rückläufiger Verbrauch prognostiziert (Szenario Erfüllung: - 20 %, Szenario Übererfüllung: -40 %). Das erklärt auch, warum die vorgeschlagenen Infrastrukturmaßnahmen keine massive Ausweiterung oder Kapazitätsvergrößerung des Gasnetzes beinhalten. Gleichzeitig enthält der Szenariorahmen zwar positive Aussagen hinsichtlich Power-To-Gas, weist aber auf den aktuellen Democharakter der derzeitigen Projekte hin und geht davon aus, dass erst 2020 begonnen werden kann, mögliche energiemarktrelevanten Kapazitäten überhaupt in die Netzplanung (dann für 2020 bis 2030) einzubeziehen.
Im Dezember wurde nun der NEP 2018-2028 von der BNetzA genehmigt, darin enthalten sind 159 Maßnahmen, das entspricht Investitionen in Höhe von rund 7 Mrd. Euro. Gegenüber dem Vorgängerplan wurden vor allem Maßnahmen aufgenommen, die die Umstellung von L- auf H-Gas betreffen (aufgrund des Abfalls des niederländischen Gasvolumens) und dem Anschluss neuer Gaskraftwerke. Ein Leitungsausbau auf einer Länge von über 1.300 km ist im Plan festgeschrieben.
Und: 170 Mio. Euro sind enthalten, um vorgeschlagene Maßnahmen für die TENP-Pipeline "vor dem Hintergrund der aktuellen Transporteinschränkungen" zu realisieren. Hier wird der Leser stutzig. Welche Transporteinschränkungen? Die TENP-Pipeline wurde Anfang der 1970er Jahre errichtet, um Italien mit Erdgas aus Norwegen (über die Niederlande) zu versorgen. Die inzwischen zwei Leitungen durchziehen Deutschland von der niederländischen Grenze über 500 km bis zur Schweizer Grenze. Doch bei Wartungsarbeiten 2017 wurde festgestellt, dass Korrosionsschäden an einem Teil der Pipeline vorliegen. Der betroffene Abschnitt wurde im September 2017 außer Betrieb genommen, die Reparaturarbeiten sind derzeit bis September 2020 terminiert. Am Grenzpunkt Wallbach können daher nach Angaben der Bundesnetzagentur derzeit nur 13 statt 24 GWh/h übertragen werden. Interessant ist, dass über diesen Ausfall bislang kaum berichtet wurde. Im aktuellen NEP ist nun die erwähnte Maßnahme, die den Worst-Case abbildet, dass die Kapazität der TENP auch bis 2020 nicht wiederhergestellt werden kann. Vorgesehen ist derzeit ein Austausch der betroffenen Leitungen auf 54 km sowie zwei Querungen zu TENP-II, um die restliche Leitung im Zeitraum der Bauarbeiten weiter nutzen zu können.
Ärgerlich ist dieser Zustand insbesondere für die Gashändler aus der Schweiz und aus Italien, die auf diese Leitungskapazität angewiesen sind. Im Rahmen der Konsultationen des NEP betonten einige Stellungnahmen, dass am Endpunkt der TENP in Wallbach eine Übertragungsleistung von rund 3,6 GW fehle. Hier fehlt damit nicht nur Versorgungssicherheit, sondern es ergeben sich schwankende Preise und eine hohe Marktbarriere für neue Gashändler, da hier derzeit an der Kapazitätsgrenze gearbeitet wird.
Schaut man hier einmal hinter die Kulissen, versteht man, dass auch der Bau und Betrieb des für uns so selbstverständlichen Gasnetzes eine komplexe und durchaus anspruchsvolle Aufgabe ist. Die erwähnten Dokumente (Szenarienrahmen, NEP) sind interessante Lektüre, öffentlich verfügbar und können gerne als pdf beim Autor angefordert werden.
Jörg Sutter