17.11.2023
Photovoltaik und Strompreis – wo geht’s hin?
Wie zwei Online-Ereignisse und ein Gerichtsurteil dieser Woche zusammenhängen, erklärt Heinz Wraneschitz
Sie schreiben jedes Jahr einen neuen Photovoltaik-(PV-)Statusreport, die Mitarbeitenden im Fachausschuss Regenerative Energien (FARE) des Vereins Deutscher Ingenieure VDI. Bei der Vorstellung des aktuellen (Kurz-)Berichts an diesem Mittwoch (15. November) hob Gerhard Stryi-Hipp, der Co-Vorsitzende des FARE zwar heraus: „Bis Ende des Jahres werden 13 Gigawatt (GW) PV in Deutschland neu installiert sein, deutlich über dem Plan der Bundesregierung von neun GW.“ Das liege unter anderem an den massiv gefallen Preisen für Solarmodule die im Jahre 2010 bei 2.000 Euro pro Kilowatt (€/kWp) gelegen hätten, im laufenden Jahr aber nur noch bei 200 €/kWp. „Allein seit 2022 sind die Modulpreise um 40 Prozent gesunken“, stellte der heutige Leiter der Arbeitsgruppe „Klimaneutrale Städte und Quartiere“ im Fraunhofer-Solarinstitut ISE und frühere Geschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW-Solar) heraus. Doch bis 2030 müsse sich „die installierte PV-Leistung in Deutschland von heute etwa 78 auf 215 Gigawatt fast verdreifachen“. Das sei Voraussetzung, um die bis dahin gesetzten Klimaziele unter anderem durch einen 80-prozentigen Strommix aus Sonnen- und Windkraftwerken zu erreichen. Dabei gab sich Stryi-Hipp „optimistisch“, aber nur, „wenn die Rahmenbedingungen gleichbleiben oder verbessert werden“.
Das jedoch scheint durch ein kurz vor der VDI-Pressekonferenz veröffentlichtes Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) mehr als fraglich. Es ist eher zu erwarten, dass die Bundesregierung die Unterstützung der Energiewende zurückfahren wird. Das BVG hat unter 2 BvF 21 nämlich verboten, dass die „im Haushaltsjahr 2021 nicht unmittelbar benötigte Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro durch eine Zuführung an den „Energie- und Klimafonds“ (EKF), ein unselbständiges Sondervermögen des Bundes, für künftige Haushaltsjahre nutzbar gemacht werden“. Da half es der „Ampel“-Regierung auch nichts, dass sie den EKF „zwischenzeitlich in „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF) umbenannt“ hat: Rückwirkende Änderungen gehen einfach nicht, so die Obersten Richter:innen.
Und deshalb fehlen nun der Bundesregierung auf einen Schlag 60 Mrd. Euro, die offensichtlich fest eingeplant waren zur Förderung der Energiewende. Finanzminister Christian Lindner (FDP) habe deshalb noch am Mittwoch „eine Ausgabensperre für den KTF verhängt“, wie viele Medien übereinstimmend berichten.
Ist dann überhaupt das von Stryi-Hipp genannte „machbare und notwendige Anstreben einer Verdreifachung der PV-Leistung“ noch machbar? Auf die Nachfrage, was das BVG-Urteil für diese „neue Phase der Energiewende“ (Stryi-Hipp) bedeute, antwortete dieser: „Dafür sind wir vom VDI-FARE die falschen Adressaten. Wir betrachten im Statusreport die technische Seite des Ausbaus.“
Kommt Lindner das BVG-Urteil womöglich gelegen?
Es könnte ja sogar sein, dass die BVG-Entscheidung dem Finanzminister recht kommt in seinem Dauerclinch mit dem Grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck. „Lindner hat sich wieder durchgesetzt, Habeck hat mal wieder verloren“, meint beispielsweise der Volkswirt Tom Krebs, Professor für VWL, Makroökonomik und Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim.
Weil eine Strompreisbremse als Eingriff in das Wirtschaftssystem nicht gewollt war, müssten die am 1. November verkündeten Maßnahmen, die Energiekosten zu senken, aus dem Haushalt finanziert werden, so Prof. Krebs. Doch das stellte er nicht nach, sondern bereits am 13. November in einer Online-Veranstaltung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fest, also zwei Tage vor dem BVG-Urteil.
Dierk Hirschel, der Chefökonom von ver.di, sah in diesem Webseminar ohnehin „den Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht richtig vorangetrieben. Weder in Tempo noch bei Investitionen werden die Ausbauziele erreicht – außer bei PV.“ Und Prof. Krebs prangerte die Marktmacht der vier großen Übertragungsnetzbetreiber und des Energiewirtschaftsverbands BDEW an: „Von denen kommen die großen Widerstände gegen eine Reform des Strommarkts. Aus Frankreich und Spanien kommen sehr vernünftige Vorschläge, auch von der EU-Kommission. Doch Deutschland steht auf der Bremse, die Regierung will das nicht anfassen“, weiß er aus „Gesprächen mit der Arbeitsebene“. Dabei steht besonders das Merit-Order-Prinzip im Blick, das den aktuellen Börsenstrompreis am jeweilig momentan höchsten Erzeugerpreis bestimmt – der hohe Gaspreis trieb die Börsennotierung 2022 in irre Höhen. „In den Gewerkschaften fordern wir die Entkopplung von Gas- und Strompreis schon lange“, erklärte Dierk Hirschel und verwies auf das „iberische Modell“, das auch von der Arbeiterkammer Österreich präferiert werde.
Bei der ver.di-Veranstaltung stellte VWL-Prof. Krebs zwar klipp und klar fest: „Die Ausbauziele für Erneuerbare Energien sind gar nicht so utopisch, bei Solar liegen wir ja sogar schon drüber. Doch wenn der Erzeugungspreis für die kWh Strom 2030 noch bei zehn Cent lieg, hat die Energiewende nicht funktioniert“, wagte er eine kritische Prognose. Thies Hansen, einer von drei Sprecher:innen der ver.di-Bundesfachgruppe Energie hält zwar bis dahin „einen Preis von fünf Cent für erreichbar“. Doch dafür müssten die Investitionen vor allem ins Verteilnetz vervierfacht werden, um die Ökostromproduktion überhaupt aufnehmen zu können. „Heute aber werden die Übertragungsnetze massiv gestützt“, weiß Hansen, der bei der Gasnetz Hamburg GmbH arbeitet.
Und wo soll nun das notwendige zusätzliche Geld herkommen, wenn der Bundesregierung seit Mittwoch 60 Mrd. Euro fehlen? Es bleibt spannend.
PS: Die Auswirkungen des BVG-Urteils im Detail beschreibt Jörg Sutter hier.